Homepage: "Kernkraft ist verzichtbar"
Kernenergie wird in den kommenden Jahrzehnten keinen großen Beitrag zum Strommix leisten, sagt der der Klimaforscher Nico Bauer. Durch effektiven Klimaschutz liesse sich der Ausfall leicht abfedern. Ein Gespräch über Atomausstieg und Klimaschutz.
Stand:
Herr Bauer, Atomkraft gilt als weitgehend klimafreundlich. Wird der Ausstieg aus der Kernkraft die Kosten für den Klimaschutz nicht extrem in die Höhe treiben?
Nein, das erwarten wir keineswegs. In einer aktuellen Studie zusammen mit der Universität von Dayton (Ohio) sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Kosten durch Einschränkungen der Kernenergienutzung vergleichsweise wenig ansteigen werden. Das ist bei einem langsamen Auslaufen der Kernenergie zu erwarten, ein beschleunigter Komplettausstieg würde allerdings höhere Kosten nach sich ziehen. Unser Fazit: Eine starke Verringerung von Treibhausgasemissionen zur Minderung der Erderwärmung hat einen weitaus größeren Einfluss auf die Wirtschaft als jedwede Entscheidung in der Nuklearpolitik.
Kernkraft ist also keine Option für den Klimaschutz?
Das Potenzial der Kernkraft für den künftig steigenden Stromverbrauch ist durch die begrenzte Verfügbarkeit von Uran beschränkt. Daher wird die Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten weltweit ohnehin keinen sehr großen Beitrag zum Strommix leisten. Würde man Klimaschutz betreiben und zugleich aus der Kernenergie aussteigen, dann ließe sich der Ausfall der Kernenergie relativ leicht abfedern, vor allem durch erhöhte Effizienz, erneuerbare Energien und durch den Bau von Gaskraftwerken.
Welche Auswirkungen hätte der Klimaschutz auf die Wirtschaftskraft?
Klimaschutzmaßnahmen würden durch die Reduzierung des Energieangebots, also geringere Produktion von Strom und flüssigen Treibstoffen, die Wirtschaftskraft einschränken. Im Jahr 2050 wären das 2,1 Prozent. Beim Auslaufen der Kernkraft würde sich diese Lücke ab 2030 etwas weiter öffnen, allerdings nur um weitere 0,2 Prozent. Das ist weitaus weniger als oft befürchtet. Würden jedoch die bestehenden Kernkraftwerke abgestellt, würden schon kurzfristig höhere Kosten anfallen.
Welchen Hintergrund hat Ihre Studie?
Wir haben zahlreiche Szenarien jeweils mit und ohne Klimaschutz berechnet. In diesen Szenarien haben wir alternativ einerseits den Ausbau der Kernkraft ermöglicht oder ausgeschlossen, und wir haben andererseits den Weiterbetrieb bestehender Anlagen angenommen oder diese Kapazitäten abgeschaltet, um jeweils die Kosten kalkulieren zu können. Wir sind von 60 Betriebsjahren ausgegangen, wobei nach dem 40. Jahr Nachrüstkosten anfallen. Dabei haben wir uns auf die wirtschaftlichen Belastungen eines Kernenergieausstiegs konzentriert. Nicht berücksichtigt haben wir die Entlastungen, die durch wegfallende Endlagerung und Verringerung der Betriebs- oder Proliferationsrisiken – Missbrauch für militärische Zwecke – entstünden. Unsere Studie ist die erste, die die Folgen einer großen Bandbreite von Kombinationen von Klima- und Nuklearpolitik untersucht hat.
Sie sind für Ihre Untersuchung davon ausgegangen, dass die Erderwärmung bei zwei Grad seit Beginn der Industrialisierung beschränkt werden kann.
]Wir betrachten dabei die Atmosphäre als eine Art begrenzte Deponie. Bis 2100 können dabei nur rund 1100 Gigatonnen Kohlendioxid emittiert werden, wenn man das Zwei-Grad-Ziel einhalten will. Die Frage ist, wann man wie viel davon verbraucht – also ob man sofort mit den Emissionen heruntergeht oder erst später. In unserer Studie haben wir den Emissionspfad in den jeweiligen Szenarien so bestimmt, dass die gesamten Klimaschutzkosten möglichst gering sind. Das erlaubt eine gewisse Flexibilität, erfordert aber starke institutionelle Voraussetzungen, damit die Deponie Atmosphäre langfristig nicht doch übernutzt wird.
Was meinen Sie damit?
Bei einem beschleunigten Ausstieg könnten kurzfristig mehr Erdgaskraftwerke eingesetzt werden, deren Emissionen später eingespart werden müssten. Die Umschichtung würde allerdings weniger als ein Prozent vom Gesamtbudget ausmachen. Gaskraftwerke sind vor allem dann wichtig, wenn man bestehende Kernkraftwerke beschleunigt abstellen würde – etwa durch politische Entscheidungen oder Anforderungen nationaler Sicherheitsbehörden. Gaskraftwerke lassen sich schnell bauen oder sind bereits vorhanden. Derzeit werden sie allerdings häufig aufgrund des hohen Erdgaspreises nicht genutzt. In den USA wurden beispielsweise viele solche Kraftwerke unter der Bush-Regierung gebaut, die derzeit ungenutzt sind, weil Kohle billiger ist als Erdgas. Durch diese stille Reserve könnte man dort gegebenenfalls relativ schnell wegfallende Kernenergie ersetzen. In Japan oder Frankreich hingegen müssten solche Gaskraftwerke erst noch gebaut werden. Bei einem beschleunigten Ausstieg fielen aber die immer wieder anfallenden Nachrüstkosten der Reaktoren weg, und im Fall mit Klimaschutz begünstigt der geringere Gaspreis den Ersatz von Kernkraftwerken.
Was folgern Sie aus Ihrer Studie?
Über Gaskraftwerke und Effizienz könnte man auf das Wegbrechen der Kernenergie reagieren. Das sind zwei Kernelemente. Die zusätzliche CO2-Emission müsste am Ende des Jahrhunderts wieder eingespart werden – etwa durch die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien. Im Hinblick auf Verluste der Weltwirtschaftsleistung sind die Unterschiede zwischen einer Renaissance und einem kompletten Kernenergieausstieg eher gering, und ein beschleunigter Ausstieg würde den Unterschied nicht steigern. Das ist ein überraschendes Ergebnis, weil man eigentlich erwarten könnte, dass der Ausstieg aus der Kernenergie die Klimaschutzkosten erhöht.
Aber?
Man sollte das Ergebnis <NO1>aber<NO>nicht leichtfertig interpretieren, da es von Voraussetzungen abhängt, die noch geschaffen werden müssen. Nämlich: Die Knappheit des Deponieraums in unserer Atmosphäre muss tatsächlich in einem Preis für den CO-2-Ausstoß zum Ausdruck kommen. Zusätzlich müsste die internationale Infrastruktur der Gasmärkte stärker ausgebaut werden, um die Gaspreise zu mindern. Außerdem müsste der Bau neuer Gaskraftwerke unterstützt werden, falls wegfallende Stromerzeugungskapazitäten zügig ersetzt werden müssten. Um zu Ihrer Eingangsfrage zurückzukehren: Wenn diese Voraussetzungen geschaffen werden, dann treibt ein Ausstieg aus der Kernkraft die Klimaschutzkosten nicht in schwindelerregende Höhen.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Der Bundesumweltminister bekräftigt deutsche Pläne
Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ist die Atomenergie in Deutschland dauerhaft keine Option mehr. Er sehe unter keiner denkbaren politischen Konstellation die Chance auf eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland, sagte er als Reaktion auf einen Vorstoß des deutschen EU-Energiekommissars Günther Oettinger. Oettinger (CDU) hatte zu Jahresbeginn mit Blick auf die große Zahl europäischer Atomkraftwerke in der „Rheinischen Post“ gemutmaßt, dass es auch in 40 Jahren noch Atomstrom im deutschen Netz geben werde. Auch halte er neue Atomkraftwerke in Deutschland für möglich, vor allem mit Blick auf die neue Technologie der Kernfusion. Die Internationale Energieagentur IEA geht indessen davon aus, dass ein Atomausstieg zu höheren Energiekosten führen wird. Der Verzicht auf Nuklearenergie sei vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung besorgniserregend, dies erschwere das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, hieß es im Energie-Welt-Ausblick 2012, der vergangenen November vorgestellt worden war. Das sehen die Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung anders. Ein weltweiter Ausstieg aus der Kernenergie werde die Kosten für Klimaschutz nur geringfügig erhöhen, so das Ergebnis einer Studie (siehe Interview).
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