Sport: Kienbaums „Dornröschen“
Einstige DDR-Unterdruckkammer könnte wiederbelebt werden
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Einstige DDR-Unterdruckkammer könnte wiederbelebt werden Von Michael Meyer Einst gehörte sie zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen der DDR, inzwischen droht sie nach 14-jährigem Dornröschenschlaf zu verfallen: Die Unterdruckkammer im heutigen Bundesleistungszentrum (BLZ) Kienbaum. Doch nun soll sie wieder wachgeküsst werden. Besichtigt man dieser Tage das unter einem Erdhügel schlummernde „Dornröschen“, umweht den Besucher Ostalgie pur. In der Schleuse, in die man nach Passieren einer dickwandigen Sicherheitstür betritt, steht noch eine große schwarze Ledergarnitur. Auf der warteten einst die DDR-Hochleistungssportler zwanzig Minuten, ehe sie weiter konnten in die dahinter liegenden Trainingsräume, in denen künstlich Sauerstoffmangel erzeugt wurde, um die zusätzliche Produktion roter Blutkörperchen zu erreichen – der bekannte Höheneffekt, der im Sport seit Jahrzehnten für die Vorbereitung auf wichtige Wettkämpfe genutzt wird. Vor allem aus Devisenmangel – bis auf die Belmeken in Bulgarien lagen alle entsprechenden Möglichkeiten in kapitalistischem Feindesland – entstand 1976 die Unterdruckkammer. Damals weltweit einmalig und daher top secret wie das gesamte Trainingsgelände 40 Kilometer östlich Berlins. „Meist wurden 2700 bis 3000 Meter Höhe simuliert, bis zu 3600 Meter waren möglich“, erzählte Klaus-Peter Nowack, Geschäftsführer des BLZ Kienbaum, beim Gang durch das unterirdische Reich, in dem praktisch alles noch so aussieht wie 1990, als hier das Licht ausgeknipst wurde. Im Technikraum hängen noch die Wimpel vieler einstiger DDR-Erfolgsklubs an der Wand neben erloschenen RFT-Monitoren. Auch ein gelb-rotes Dreieck des damaligen Armeesportklub Vorwärts Potsdam mit den Autogrammen so erfolgreicher Asse wie Udo Beyer, Ronald Weigel, Ellen Streidt, Olaf Beyer und Klaus-Dieter Kurrat. Auch sie schufen hier unten mit die Voraussetzung für Spitzenleistungen. Laufbänder ermöglichten Ausdauertraining selbst für Skiläufer, Hometrainer an der Wand dienten ebenfalls der Konditionierung, ein Paddelbecken eine Etage tiefer ermöglichte auch Kanuten das „Trockentraining“ in simulierter Höhe. „Anfangs blieben die Sportler versuchsweise bis zu zehn Tagen ununterbrochen in dieser dünnen Luft, später waren es dann meist mehrere Stunden“, berichtete Nowack. Damit es den von einem zwölfköpfigen Team betreuten Sportlern in ihrer Abgeschiedenheit nicht zu langweilig wurde, standen – und stehen noch immer – diverse Musik- und Videokassetten im Technikraum. Ob Beatles oder Abba, „Dirty Dancing“, „Star Trek“ oder „Lady Chatterleys Liebhaber“ – alles war griffbereit für die Lautsprecher und Monitore vor den Trainingsgeräten sortiert. „Derzeit befindet sich die Unterdruckkammer in einem Zustand, der ihre Wiederinbetriebnahme ermöglicht. Ob das in ein paar Jahren noch so sein wird, ist ungewiss“, meint Nowack. Auch wenn die deutschen Athleten heuer zum Trainieren in dünner Luft in alle Welt könnten, könne die Einbeziehung der Kienbaumer Anlage in eine so genannte „Höhenkette“ durchaus sinnvoll erscheinen. Um das zu klären, veranstaltet der DSB-Bereich Leistungssport gemeinsam mit dem Bundesleistungszentrum Kienbaum und dem Olympiastützpunkt Potsdam Ende Mai/Anfang Juni einen Workshop mit Sportdirektoren und weiteren Vertretern von Sportfachverbänden, die als eventuelle Nutzer einer wieder in Betrieb genommenen „Höhentrainingshalle“ – so deren jetzige Bezeichnung – in Frage kommen könnten. Das vom wissenschaftlich-medizinischen Beirat des Deutschen Sport-Bundes zusammengefasste Ergebnis dieses Workshops dient dem DSB als Entscheidungsgrundlage dafür, ob er beim Bundesministerium des Innern (BMI) die im Falle einer Zustimmung notwendigen Gelder beantragt. Schließlich wird das mit 63 Hektar größte Trainingsareal dieser Art in der Bundesrepublik – 1952 als Sportschule des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR gegründet, nach der Wende kurzzeitig in Frage gestellt und 1997 wieder in den Investitionsplan des Bundes aufgenommen – hundertprozentig vom Bund finanziert. 30 Millionen Euro flossen in den letzten sieben Jahren ins Bundesleistungszentrum, das am 5. Mai vom Sportausschuss des Deutschen Bundestages besichtigt werden wird. Dann werden die Abgeordneten viele neu entstandenen hochmodernen Trainingsstätten sehen und die weitere Ausbauphase beraten. Und sich natürlich auch die Unterdruckkammer angucken. Dann wird Klaus-Peter Nowack mit einem Griff zum Lichtschalter erneut das einstige DDR-Geheimnis der Dunkelheit entreißen. Und insgeheim hoffen, dass die „Höhentrainingshalle“, die inzwischen Nachahmung beispielsweise in Finnland und Japan fand, wieder mit Leben erfüllt wird.
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