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Landeshauptstadt: Kirche zum Anbeißen

Als Premiere bei der 7. Nacht der offenen Gotteshäuser gab es ein ökumenisches Mahl nach teils 2000 Jahre alten Rezepten

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Dattel-Walnussbrot, Maamal-Mandelbrötchen, judäischer Wüstensalat und Matze-Brot liegen bunt verteilt auf den Tischen im Friedenssaal der Friedensgemeinde – hier scheint die halbe Bibel nachgekocht worden zu sein. „Ja“, bestätigt eine Mitarbeiterin der Gemeinde, „viele dieser Rezepte sind seit über 2000 Jahren überliefert“. Das passt zum Motto, das sich die Evangelische Kirche Potsdam für die 7. Nacht der offenen Kirchen, die im letzten Jahr wegen Personalproblemen ausgefallen war, ausgedacht hat: Unter dem Titel „Schmeckt und seht“ – basierend auf dem biblischen Psalm 34 – luden am Samstag 15 Potsdamer Kirchen von 18 bis 23 Uhr Interessierte zu sich ein, um religiöse Kultur einmal ganz ohne Gottesdienste und trockene Liturgie zu erleben. Stattdessen wurden in den bunt angestrahlten Gotteshäusern zahlreiche Klassik- und Pop-Konzerte, Führungen und Diskussionen angeboten.

Die Veranstaltung im Friedenssaal sticht besonders hervor, denn es ist ein regelrechter Marktplatz aufgebaut worden, an denen nicht nur christliche Essenstraditionen präsentiert werden, sondern auch muslimische, jüdische und buddhistische Vertreter selbst gemachte Speisen anbieten und die damit zusammenhängenden Essensge- und -verbote erläutern – eine bislang einmalige Aktion bei der Nacht der offenen Kirchen.

Dementsprechend neugierig sind die rund 100 Besucher, die sich bereits an den Ständen tummeln und von den Kokosbällchen, Datteln und Frühlingsrollen probieren. Nur die jüdischen Speisen sind noch zugedeckt – gegessen werden darf erst zum Ende des Shabbat, also nach Sonnenuntergang. Derweil erklärt die Vietnamesin Ninh Do, warum Buddhisten vor allem Gemüse und Obst essen: „Ich habe gelobt, mich darin zu üben, Leben zu erhalten und nicht zu töten, um das Leiden zu überwinden.“ Aber auch wenn man Tiere nicht töten soll, gebe es kein striktes Fleischverbot im Buddhismus: „Wenn unser Mitgefühl wächst, werden wir automatisch weniger Fleisch essen“, so Ninh Do.

„Ich finde es toll, dass die Kirche das hier macht“, meint die Potsdamerin Karena Kelm, „es ist nicht selbstverständlich, dass alle Konfessionen zu so einer Veranstaltung zusagen“. Die 49-Jährige gehört zu den Menschen, die sonst nur selten in die Kirche gehen. „Kirchen sind für mich in erster Linie Bauwerke. Na ja, und christliche Kirchen finde ich immer so düster.“ Kelm räumt aber ein: „Vielleicht ist das aber auch nur ein Klischee.“ Sie sei heute zusammen mit ihrem Partner Peter Klotz „ganz spontan“ zur Nacht der offenen Kirchen gegangen. „Das heißt aber nicht, dass wir nach so einem Tag regelmäßig in die Kirche gehen“, meint der 55-jährige Potsdamer. Während in der Erlöserkirche Matt Sweetwood von Folkadelic Hobo Jamboree zum gemeinsamen Gospel-Singen einlädt und in der Kapelle der Garnisonkirche an einer mittelalterlichen Tafel den Tischreden Martin Luthers gelauscht werden kann, kommen in der Friedenskirche historisch Interessierte auf ihre Kosten: Zum einen werden Führungen durch die sonst verschlossene Krypta und das Mausoleum angeboten, in dem der Soldatenkönig Friedrich I. begraben liegt, zum anderen werden zahlreiche historische Abendmahlskelche ausgestellt. „Dieser Silberkelch hier provoziert mich“, sagt Martin Kwaschik, Pfarrer der Erlösergemeinde, zu etwa einem Dutzend Besucher. „Der Kelch stammt aus der Garnisonkirche, und es ist wahrscheinlich, dass Uniformierte daraus getrunken haben“, sagt Kwaschik und verweist auf die problematische Verquickung von Militär und Kirche. Mit dem Hinweis auf einen jungen Kirchgänger, den der Pfarrer persönlich kannte, bevor er zur Nationalen Volksarmee (NVA) ging, fragt er jedoch auch: „Aber sind Soldaten nicht auch Christenmenschen?“

Auch die katholische St.-Peter-undPaul-Kirche hat geöffnet; laut Programm soll sie heute vor allem als Ort der nächtlichen Meditation und Einkehr dienen. Das geht leider nicht ganz auf, weil 100 Meter entfernt ein unüberhörbares Hip-Hop-Festival stattfindet. Viele Besucher verlassen die Kirche daher nach kurzem Aufenthalt wieder. Auch Musiklehrerin Mandy Pöhl geht zu ihrem Fahrrad, um zur nächsten Kirche zu radeln. Nein, sie sei nicht konfessionell, sagt sie: „Meine Verbindung zur Spiritualität kommt aus der Musik“, erklärt die 36-Jährige, „die kann man auch spüren, wenn man keiner Konfession angehört“.

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