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Landeshauptstadt: Kleine Frau mit großem Hund

Sie gehört zum Potsdamer Stadtbild wie kaum eine andere: Inge Gohlke-Dietze wird 70

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Innenstadt - Es ist ihr nicht viel geblieben außer ihrem treuen Begleiter Nino. Täglich geht Inge Gohlke-Dietze mit ihrem Vierbeiner spazieren, schaut im Café Alice vorbei und erzählt von besseren Zeiten. „Wenn ich Alice Noldin nicht hätte, wer weiß “, sagt sie vage. Die beiden Frauen verbindet mehr als nur die Liebe zur selben Hunderasse, zum Bearded-Collie. Und wenn Inge Gohlke-Dietze am morgigen Sonntag ihren 70. Geburtstag feiert – in kleinem Kreis, wie sie sagt – wird auch die Caféhaus-Chefin dabei sein.

Die kleine Frau mit dem blonden Struwwelkopf, sie misst nur 158 Zentimeter, stand noch bis vor gut einem Jahr hinterm Ladentisch in der Dortustraße 60, verkaufte Lederwaren von der Geldbörse über edle Handtaschen bis zum Koffer. Sie war bei Weihnachtsmärkten und Straßenfesten dabei, hatte einen guten Draht zu Kindern, mit denen sie Auftritte organisierte, stand mit der Dortu-Schule in Verbindung. Sie meldete sich auch in der Innenstadt-Arbeitsgemeinschaft oder der Stadtverwaltung zu Wort, wenn ihr etwas bei der Entwicklung rund um die Brandenburger Straße nicht passte, zum Beispiel die zu hohen Straßenreinigungsgebühren. Den Potsdamer Modeball staffierte sie über Jahre mit Handtaschen aus.

Die als Sekretärin ausgebildete Inge heiratete Jürgen Gohlke-Dietze in zweiter Ehe und musste bei dessen Eltern vorher erst einmal ein Jahr lang zeigen, dass sie zur Geschäftsfrau taugte. Trotz der Abneigung der DDR-Oberen gegen selbstständige Geschäftsleute florierte nicht nur die Sattlerei. In Eigeninitiative besorgte man sich immer wieder auch Lederwaren vom Hersteller, die es anderswo nicht gab. Dabei erwies sich ein Leipziger Onkel mit Messekontakten als überaus hilfreich. Nur so aber konnte der DDR-Einzelhändler überleben. Als am 1. Januar 2005 mit dem Geschäftsleben Schluss war, bestanden Sattlerei und Lederwarenverkauf der Gohlke-Dietzes genau 115 Jahre und die Chefin hätte ihr Rentnerleben längst beginnen können. Doch wie es geschah, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände verlor sie alles, ihr blieben nur eine kleine Rente und ein Berg Schulden.

Dabei hatte nach der Wende alles hoffnungsvoll angefangen für das Ehepaar Jürgen und Inge Gohlke-Dietze. Drei Potsdamer Grundstücke, erworben noch von den Gohlke-Großeltern, glaubten sie ihr Eigen nennen zu können und gleich nach der Wende ließen sie die Bürgerhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert sanieren. Der Wiederaufbau des Barockhauses aus dem 18. Jahrhundert an der Charlottenstraße 109 / Ecke Dortustraße 52 drängte wegen eines Dachstuhlbrandes. Mit dem Versicherungsgeld und dem Verkauf eines der Häuser wurde die Sanierung Anfang der 90er Jahre bezahlt.

Doch die Freude über das Eckhaus währte nicht lange. Inge Gohlke-Dietze versicherte, dass das Haus über einen Makler 1936 von den Großeltern ihres Mannes gekauft und auch bezahlt wurde, doch erhielten die im Ausland lebenden Erben offenbar dieses Geld nicht oder unvollständig, so dass es die Jewish Claims Conference 1999 über das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zurückbekam – mitsamt der Investition, die in die Restaurierung geflossen war. Private Eigentümer hätten sich zuvor nie gemeldet, sagt Gohlke-Dietze. Die Sicherheit für den Ausbau des dritten Grundstücks in der Dortustraße 60 war mit dem Eckhaus weg und der Ausbau von Vorderhaus und stark sanierungsbedürftigen Hofhäusern wurde zum Spiel mit mehreren Unbekannten.

In den 70er Jahren, als die damalige Klement-Gottwald-Straße und heutige Brandenburger restauriert wurde, hatte der DDR-Staat den Gohlkes das Areal schon einmal weggenommen. Angeblich wurde es als Zuwegung für das Konsument-Kaufhaus (heute Karstadt) benötigt. Eine Veränderung oder gar Sanierung wurde aber nie begonnen. „Mein Mann hat das Geld, das man uns dafür bezahlen wollte, nie angenommen. Er hat es immer wieder zurücküberwiesen“, versichert Inge Gohlke-Dietze. Doch es muss wohl als Bezahlung in die Akten eingegangen sein. Über Investitionsvorrang durften die ehemaligen Eigentümer dann doch bauen, steckten über vier Millionen DM in die Dortustraße 60 und zeigten bei einem Presserundgang, wie viel Ende der 90er Jahre schon geschafft war. Als Inges Mann 1998 plötzlich verstarb, gab es für sie ein böses Erwachsen. Die Kredit-Abzahlungen von 20 000 Euro waren monatlich nicht zu bewerkstelligen. Die Witwe musste auf Drängen der Bank nicht nur das Geschäftsgrundstück, sondern auch noch das Privathaus in Rehbrücke verkaufen. Und sitzt trotzdem noch auf einer millionenhohen Schuldenlast. Ein rauschender Geburtstag wird es morgen nicht.

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