Aus dem GERICHTSSAAL: Kleinkind grob misshandelt
Polizist reagierte nicht auf Notruf von Zeugen
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Aus dem GERICHTSSAALPolizist reagierte nicht auf Notruf von Zeugen Werder – Tatort: Restaurant „Arielle“ in Werder, Tatzeit: Samstag, der 2. August 2003, kurz vor 14 Uhr: Zwei Touristinnen beobachten, wie am Nebentisch eine stark angetrunkene ältere Dame sowie eine jüngere Frau, ebenfalls erheblich alkoholisiert, ein Kleinkind mit Schlägen traktieren. Eine der Touristinnen wählt den Polizeinotruf, schildert die Situation, dann warten sie vergeblich auf einen Streifenwagen. Inzwischen geht das Martyrium für den etwa Dreijährigen weiter. Mit Schrecken sehen die Besucherinnen, wie die vermeintliche Großmutter beide Hände verschränkt, sie dann mit Wucht auf den Kopf des Kleinen niedersausen lässt. Ein Fall, der vor einem Jahr für Aufsehen sorgte und gestern vor den Schranken des Gerichts wieder aufgerollt wurde. Wegen Strafvereitelung im Amt angeklagt ist Detlef S. (55), Einsatzbeamter in der Leitstelle des Potsdamer Polizeipräsidiums. Er nahm den Anruf am 2. August vergangenen Jahres um 14.01 Uhr entgegen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft tat er allerdings nichts, um die der Kindesmisshandlung dringend Verdächtigen zu stellen. Im Prozess versuchte der Polizist anfangs, sich von jeglicher Schuld reinzuwaschen. Selbstverständlich habe er versucht, Kontakt mit den Kollegen der Wache in Werder herzustellen, damit sie einen Streifenwagen ins „Arielle“ schicken. Doch die hätten den Telefonhörer nicht abgenommen. Dann habe er einen im Einsatz befindlichen Streifenwagen anfunken wollen. „Aber der muss sich gerade in einem Funkloch befunden haben“, mutmaßte der Angeklagte. Wenig später habe sich die Anruferin erneut gemeldet und berichtet, polizeiliche Hilfe sei nicht mehr nötig. Deshalb habe er den Einsatz abgebrochen. „Es gab keinen zweiten Anruf“, beteuerten die Zeuginnen Dr. Sabine H. (41) und ihre Freundin Kirsten Sch. (40) einstimmig. Schließlich seien sie davon ausgegangen, die Polizei unterbinde die Misshandlung umgehend. „Der Kleine muss schon öfter verprügelt worden sein. Er stellte sich bei den Schlägen tot, so wie Tiere das tun, damit ihre Angreifer von ihnen ablassen“, schilderte Kirsten Sch. die Situation. „Die Frauen schwankten dann mit dem Kinderwagen in Richtung Dampferanlegestelle. Wir gingen zurück in die Gaststätte. Dort herrschte immer noch helle Aufregung, nicht zuletzt, weil sie die Zeche geprellt hatten.“ Am nächsten Morgen – so die Zeugin – hätten sie und ihre Freundin bei der Polizeiwache Potsdam Anzeige erstattet, weil ihnen das Schicksal des kleinen Jungen nicht aus dem Kopf gegangen sei. Sie hätten sich auch an die Presse gewandt, um die Identität seiner Mutter und der Großmutter zu ermitteln – leider ohne Ergebnis. Obwohl der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung vorlag, verhinderte der Angeklagte, dass die Verdächtigen gefasst und ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet werden konnte“, rügte die Vertreterin der Anklage. Detlef S. – er ist noch immer als Einsatzbearbeiter im Polizeipräsidium tätig, muss sich demnächst jedoch einem Disziplinarverfahren stellen – ging schließlich in sich. „Ich habe die Lage falsch eingeschätzt“, erklärte er nach mehrmaligen Rücksprachen mit seinem Verteidiger. Dies war Amtsrichterin Kerstin Devriel als Geständnis zu schwammig. „Was haben Sie wirklich unternommen?“, bohrte sie nach. Der Angeklagte gab zu, er habe nur einmal versucht, in der Wache Werder anzurufen. Auch den Streifenwagen habe er nur einmal angefunkt. Allerdings beharrte er auf dem zweiten (nirgends aufgezeichneten) Anruf der Zeuginnen. Das Urteil: Sieben Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zu zweijähriger Bewährung, 250 Euro Geldbuße an die Stiftung „Hilfe für Familien in Not“. Hoga
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