Landeshauptstadt: Kochrezepte des Allmächtigen
Eine Vortragsreihe zum Thema „Koscher kochen“ ist nur eines von vielen Angeboten in Potsdams neu gegründeter Jüdischer Volkshochschule
Stand:
Ein Apfel ist neutral, ein Apfel mit Wurm hingegen unkoscher – der unerwünschten Fleischbeilage wegen. Die Vorschriften in der Tora sind detailliert. Was nicht genau in der jüdischen Gesetzessammlung beschrieben ist, wird von den Weisen ausgedeutet. Das Regelwerk soll auf jede Frage eine Antwort haben.
In langen Listen ist in den Speisegesetzen nachzulesen, was Juden essen dürfen und was nicht, sagt Rita Solomyanska, Referentin an Potsdams Jüdische Volkshochschule in der Posthofstraße. Würmer gelten demnach grundsätzlich als nicht rein. „Was aber, wen ich den Wurm versehentlich mit esse“, fragt eine Frau nach. Darüber sehe der Allmächtige hinweg, erklärt die Fachfrau für jüdische Speiseregeln. Besonders bei Fleisch und Geflügel sei die Tora sehr ausführlich. Die Jahrtausende alten Vorschriften dienten dem „auserwählten Volk“ vor allem als Schutz vor Krankheiten, die häufig durch Tiere übertragen würden.
Rita Solomyanska leitet die Vortragsreihe „Koscher Kochen“ an der Jüdischen Volkshochschule, die im Januar in Trägerschaft der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde ihre Arbeit aufnahm. Einer interessierten Gruppe von einem Dutzend Teilnehmern erklärt sie jeden ersten Mittwoch im Monat die jüdischen Speisegesetz. Das Gros der Zuhörerschaft sind Frauen, nur ein Mann mit Kipa auf dem Kopf ist Stammhörer. Vermutlich wird auch im jüdischen Volk die Küche als Frauendomäne gesehen. Kurssprache ist Russisch. Die meisten der Mitte der 1990er nach Potsdam ausgewanderten so genannten jüdischen Kontingentflüchtlinge kommen aus den einstigen GUS-Staaten. Eine Dolmetscherin gibt es trotzdem. „Auch Nicht-Juden sind in allen Kursen willkommen“, sagt Shimon Nebrat, Geschäftsführer der Gesetzestreuen. Der Anfängerkurs in Hebräisch beispielsweise sei schon jetzt gut besucht, „Russisch für Schüler“ hingegen wenig nachgefragt.
Am Anfang der Welt seien alle Vegetarier gewesen, die Tiere und die Menschen, erzählt die Referentin. Erst nach der Sintflut, vor der sich Noah mit einer Vielzahl von Tieren auf seine Arche rettete, erlaubte „der Allmächtige den Menschen auch zu essen, was eine Seele hat“. Die tiefe Stimme der Referentin klingt ehrfurchtsvoll. Die Seele allerdings dürfe nicht verspeist werden, schreibt der „Gesetzgeber“ vor. Darum sei Fleisch erst koscher, wenn es vom Blut befreit sei, erklärt Rita Solomyanska. Das Blut gilt im Judentum als Seele. Das mache auch bestimmte Schlachtrituale und Zubereitungsregeln erforderlich. Das Fleisch müsse vor der Zubereitung ausbluten und werde dreimal in Wasser gewaschen. Die Seele werde Mutter Erde anschließend übergeben, das Blut und das Wasser mit Blutresten weggeschüttet. Als koschere Tiere gelten nur die, die Paarhufer und Wiederkäuer sind. „Schweine und Kamele beispielsweise scheiden damit aus.“ Außerdem dürfe man niemals Milch und Milchprodukte zusammen mit Fleisch essen. In Beef Stroganoff käme aber doch ein Klecks saure Sahne, meldet sich eine ältere Teilnehmerin zu Wort, die der Leibesfülle nach gutes Essen liebt. Nein, nein, weist Rita Solomyanska sie zurecht. Entweder man verzichte auf die Sahne oder auf das ganze Rindergeschnetzelte. Einfacher ist es ohnedies, sich an Gemüse zu halten. Das ist neutral und darf in jeder erdenklichen Zubereitungsform verspeist werden. Etwas Göttliches hat aber auch das. Die leckeren Gemüsegerichten aus Mohrrüben, Backpflaumen und Bohnen, gewürzt mit Koreander und Zimt, heißen nämlich Zimys – die Herrlichen.
Nicola Klusemann
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: