
© Andreas Klaer
Kolumne | Etwas Hella: Lasst etwas mehr übrig bleiben
PNN-Kolumnistin Hella Dittfeld schwankt zwischen Aufheben und Wegwerfen. Warum es nicht immer leicht ist, die richtige Wahl zu treffen.
Stand:
Ich bin kein Messie, sondern ein ordentlicher wegschmeißfreudiger Mensch. Was habe ich nicht schon alles entsorgt, was ich nachher noch gern gehabt hätte. Zum Beispiel die Langeweile. Weil ich hip sein wollte. Weil ich zu einer Clique dazu gehören wollte. Weil ich Angst hatte, ich könnte etwas verpassen. Mit Familie, Kindern, Fernstudium und Beruf habe ich mich dann danach gesehnt, einfach mal Löcher in die Luft zu gucken. Aus Langeweile und zur Entspannung sozusagen.
Den Dampfentsafter entsorgt
Weggeworfen wurde auch der lange wollige Schal. Lag bloß immer rum. Was könnte ich mich jetzt bei 19 Grad Wohnungstemperatur schön darin einwickeln. Oder der alte Dampfentsafter. Im Sommer hat mich eine Freundin danach gefragt. Sie hatte eine reiche Apfelernte und wollte selbst mosten. (Da war Stromsparen noch nicht aktuell) Er ist längst Metallschrott.
Die alte Modezeitung Pramo aufgehoben
Über manches andere, das ich aufgehoben habe, werden meine Nachfahren, wenn sie einmal meine Wohnung oder den Keller ausräumen müssen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Über die alte Modezeitung Pramo zum Beispiel. Da waren - anders als bei der Sybille - für alle Modelle Schnitte zum ausradeln drin. Aber siehe da, gerade wollte jemand eine Hemdbluse nähen. Hatte ich als Schnitt vorrätig und fand einen dankbaren Abnehmer. Schnittmusterbögen, falls man sie überhaupt noch kriegt, sind heutzutage ziemlich teuer.

© Sebastian Gabsch PNN
Und so sammelt sich auch bei mir einiges, was die Wohnungsberäumer nach meinem Umzug ins Altersheim oder auf den Friedhof ausräumen, schreddern und als Müll entsorgen müssen. Ein Berg Müll - ist es das, was am Ende übrig bleibt? Der Artikel über die Beräumer der Stadtentsorgung hat mir doch sehr zu denken gegeben. Drei Stunden Zeit sind angesetzt, um die Reste eines langen Lebens in Nichts aufzulösen. Manches kann vielleicht noch vorher von Interessenten gerettet werden. Zum Beispiel Stilmöbel. Oder gute Bücher. Einst noch alle in Halbleinen gebunden oder sogar in Leder gefasst und mit Goldschnitt versehen. Wie meine Märchen aus Tausend und einer Nacht.
"Wichtige Aufhebsel" in Augenschein nehme
Doch trotz der Hoffnung auf Wiederverwertung: Ich werde jetzt all die "wichtigen Aufhebsel" genauestens in Augenschein nehmen und das ausmisten, was keinen Goldschnitt sondern nur Blechschliff hat. Obwohl: Aus Wollresten entstand jüngst eine lustige Patchwork-Decke und für eine Hochzeit in der Familie fehlte mir doch tatsächlich Polter-Geschirr. Ich musste ein Klobecken bei einer Entrümpelung mitgehen lassen, damit es ordentlich scheppern konnte.
Es gibt jedoch etwas, das ohne Probleme aufgehoben werden kann: Erinnerungen. Zum Beispiel an den besonderen Kuchen, den meine Mutter immer gebacken hat. Oder die Gedanken an einen Familienausflug, den alle als gelungen bezeichneten. Wann kommt so etwas schon mal vor. Oder an die ersten Worte der Kinder, die in den Sprachschatz der Familie eingeflossen sind oder, oder, oder... Meine Kolumnen hebe ich auch noch ein bisschen auf. Als Datei. Denn am Ende meiner Kolumnistinnenzeit will ich nachschauen, welche meiner nicht immer ganz ernst gemeinten Wünsche in Erfüllung gegangen sind.
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