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Landeshauptstadt: Komaphantasien plus Mozart

Familienkonzert auf Fußballrasen: Kammerakademie läd zum Crossover zwischen Klassik und Ballsport

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Was haben ein Schiedsrichter und ein Dirigent gemeinsam? Mehr, als man im ersten Augenblick denken mag. Beide müssen einen brodelnden Haufen begeisterter, ja bisweilen fanatischer Einzelkämpfer zusammenhalten und in zielgerichteter Teamarbeit ins Finale führen.

Welch akustische Offenbarung und manch weitere Überraschung ein Zusammentreffen beider Seiten, Sportler und Musiker, mit sich bringt, wollen jetzt Mitglieder der Kammerakademie sowie des Jugendsinfonieorchesters der städtischen Musikschule „Johann Sebastian Bach“ ausprobieren. Für den Fußball-Aspekt wurden Turbine-Potsdam-Spielerinnen um Unterstützung gebeten. Außerdem mit dabei eine Fußballklasse der Jahn-Sportschule sowie Schüler der Babelsberger Goethe-Schule, an der seit Jahren schwerpunktmäßig Fußball trainiert wird.

„Wir wollten zweierlei erreichen“, sagt Isabel Stegner von der Kammerakademie, die das Projekt betreut: „Fußball aus der Schublade ’Hobbys für Anspruchslose mit Ballerbedarf’ rausholen, andererseits eine neue Besucherklientel auf den Nikolaisaal neugierig machen: Familien, die – und das liegt nicht immer am Geld – nie auf die Idee kommen würden, hier ein Konzert zu besuchen“.

Beim Fußballkonzert wird zwar zu Mozarts kleiner g-Moll-Sinfonie, KV 183, eingeladen, aber eigentlich ist es das Spiel Turbobass Potsdam gegen den 1. FC Geigerslauter. Die Mitglieder der Kammerakademie sitzen auf Kunstrasen, nicht Parkett, tragen Spielertrikots, und hinter der Bande lauert unerbittlich der Fanblock bestehend aus dem Musikschulorchester. Während der Dirigent die Musiker zusammenhält, kommentiert der Stadionmoderator gnadenlos das Treiben. „Sportreporter“ Daniel Finkernagel, unter anderem WDR-Moderator, beweist, dass man Musik auch ganz anders hören kann.

Es ist kein Konzert für stille Genießer. Natürlich wird reingequatscht, der Zuschauer, Zuhörer, auf Einsätze vorbereitet, auf Besonderheiten aufmerksam gemacht. Wenn sich die Instrumentengruppen abwechseln oder gar pausieren, gibt es auch mal spöttische Bemerkungen. „Einpacken“, heißt es dann, „du kannst nach Hause gehen“, singt und spielt plötzlich der Fanblock. Auch der Dirigent hat viel zu tun, wenn der Einsatz beim achten Mal immer noch nicht klappt, kriegt das Fagott eben wegen Spielverzögerung die gelbe Karte. Verpatzte Einsätze der ganzen Mannschaft, Fouls, ein verletzter Musiker muss gar die Bühne verlassen. So viel anders als auf dem realen Fußballfeld ist es tatsächlich nicht. „Natürlich spielen wir die Sätze auch mal am Stück durch“, verrät Stegner, es gibt kein totales Chaos. An Fußball erinnern dennoch ständig die üblichen Fangesänge und Schlachtrufe aus Carmen, Fluch der Karibik und „You’ll never walk alone“, die das Musikschulorchester beisteuert. Direkt im Saal mitten unter den Zuschauern sitzen 20 Schüler der Goethe-Schule, die auf Kommando als Fanblock agieren und Schlachtrufe schmettern. „Wir wollen echte Stadion-Stimmung“, sagt Stegner. Die Turbine-Spielerinnen zeigen in der Halbzeitpause ein Torwandschießen mit Schaumstoffbällen – denn die Musiker hatten letztlich doch etwas Angst um ihre Instrumente – und geben sich als nachgefragte Interviewpartnerinnen für die Presse. Der musikalisch-sportliche Mix wurde zuletzt noch durch das Medium Film ergänzt. In Zusammenarbeit mit dem Filmverband Brandenburg wurden in der Bürgelschule Rathenow die „Komaphantasien des verletzten Spielers“ gedreht. Gezeigt werden sie, während dieser im zweiten Satz vom Spielfeld getragen wird.

Im Nikolaisaal am Sonntag, 6. Mai, ab 18 Uhr und Montag, 7. Mai, ab 10 Uhr.

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