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Landeshauptstadt: Kommunen haben wenig Spielraum

Sozialpolitiker Michael Krummacher zu Potsdam und Obdachlosigkeit

Stand:

Warum gibt es in der reichen Bundesrepublik immer mehr Obdachlose?

Es hat zwei strukturelle Gründe. Der eine ist die stetig zunehmende Armut in der Bundesrepublik. Der andere Grund liegt im Wohnungsmarkt. Insbesondere das Angebot an preiswerten Mietwohnungen wird immer knapper. Bundesweit laufen die Bindungen für Sozialwohnungen aus, während kaum neue Sozialwohnungen gefördert und gebaut werden.

Warum nimmt ausgerechnet in einer aufstrebenden, wirtschaftlich florierenden Stadt wie Potsdam Obdachlosigkeit zu?

In Regionen, die durch Abwanderung immer dünner besiedelt sind, werden Sie das Problem nicht finden. Wohnungsmarkt ist immer kleinräumig zu betrachten. Potsdam ist eine Boomtown mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt. Generell kann man sagen, dass in allen großen Städten, die nicht im starken wirtschaftlichen Niedergang sind, eine massiv zunehmende Wohnungsknappheit zu registrieren ist. Städte wie Potsdam, die aus einer Reihe von Gründen boomen, erfahren eine Abnahme im Segment der preiswerten Mietwohnungen. Indes steigen die Mieten weit überdurchschnittlich. Und Menschen, die längere Zeit in Armut leben, können sich solche Wohnungen nicht leisten. Natürlich gibt es bei Obdachlosigkeit individuelle Gründe, die in der Person der Risikogruppen liegen. Viele, die in Armut leben, verlieren die Kompetenzen, ihr Leben zu regeln. Aber die möchte ich nicht in den Vordergrund stellen.

In Potsdam werden 42 Millionen Euro ausgegeben, um Menschen mit keinem oder sehr geringen Einkommen die Miete zu bezahlen. Ist das ein vernünftiges Instrument, um der Gefahr drohender Wohnungslosigkeit zu begegnen?

Die Hartz-IV-Gesetzgebung sieht ja vor, dass die Kommunen die Wohnkosten bis zu einer bestimmten Höhe übernehmen müssen. Denn nach dem Grundgesetz kann man Menschen nicht einfach auf die Straße setzen. Aber der entscheidende Punkt Ihrer Frage ist, ob eine präventive Versorgungspolitik der Kommune sinnvoll ist. Meine Antwort: eindeutig ja. Berechnungen in großen Städten zeigen, dass einmal entstandene Obdachlosigkeit für die Kommune mehrfach teurer ist als die Prävention durch preiswerte oder kostenlose Wohnungen. Menschen in einem Mietverhältnis zu halten bietet zudem die Chance zur sozialen Integration.

Nun ist den Potsdamer Stadtvätern nicht erst seit Kurzem bekannt, dass mehr Sozialwohnungen gebraucht werden. Gebaut wird aber fast nur im mittleren bis höheren Preissegment.

Die Kommunen haben zu wenig Handlungsspielraum, um die allgemeinen Marktwirkungen zu überwinden. Sie können weder Gesetze verabschieden noch Wohnungen beschlagnahmen. Wenn der allgemeine Markttrend in boomenden Städten wie Potsdam dahin geht, dass Wohnraum knapp wird, hat keine Stadt das Geld für ein eigenes Sozialwohnungsbauprogramm. Eine Kommune kann bei Neubauvorhaben immer nur Zuschussfinanzierung ermöglichen oder bei der Bauleitplanung darauf achten, dass Flächen für sozialen Wohnungsbau freigehalten werden. Letztlich müssen sich private Investoren finden, die das mitmachen. Wenn die aber Profite in anderen Bereichen sehen, werden sie es nicht machen.

Also ist bei der Entwicklung des sozialen Wohnungsmarktes Potsdam auf Investoren angewiesen, die ihr soziales Engagement über möglichen Profit stellen?

Das wäre mal eine Lösung. Entscheidend sind aber Bund und Land gefordert, den massiven Rückgang an Sozialwohnungen zu stoppen. Sie müssen Anreize für den Erhalt preiswerter Wohnungen setzen. Wenn hingegen wie im Moment die Gesetzgebung des Bundes darauf hinausläuft, dass aufwendig und energetisch modernisiert wird, dann ist das zwar für die Ökologie sinnvoll und richtig. Aber gleichzeitig sind damit enorme Kosten- bzw. Mietsteigerungen verbunden. Kommunen können eigentlich nur über eigene Gesellschaften oder über Zuschussregelungen für Investoren preiswerte Wohnungen erhalten, für die vertraglich ein Belegungsrecht fixiert ist. Das wäre eine gute präventive und wichtige Maßnahme. Aber das ist bei den Kommunalfinanzen nicht oder nur begrenzt möglich.

Das Gespräch führte Peter Könnicke

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