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Landeshauptstadt: Kopflos in Wünsdorf

Thomas Mattern präpariert das etwa 4500 Jahre alte Potsdamer Skelett, auch genannt „Pötzi“, für eine Ausstellung

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Kopflos im umgangssprachlichen Sinne wird er bestimmt schon mal gewesen sein. Damals als er noch an der Havel lebte oder dort vorbeizog. Kopflos im wahrsten Sinne des Wortes ist er erst nach über 4000 Jahren geworden. Schuld daran ist Thomas Mattern.

Thomas Mattern steht an diesem kühlen Dezembervormittag am Ende eines der ehemaligen Militärgebäude auf dem Gelände des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege in Wünsdorf. Der Weg zu seinem Arbeitsplatz ist nicht leicht zu finden und so wartet Mattern vor der Tür, um den Besuch in Empfang zu nehmen. „Da drin liegt er“, sagt Mattern und öffnet das große Blechtor. Am Ende einer lang gezogenen Halle in einer Kiste voller Sand und beleuchtet von einem Scheinwerfer. Zumindest das, was von ihm übrig ist. Ein etwa 4500 Jahre altes Skelett eines Mannes aus der frühesten Phase der Bronzezeit, gefunden Anfang November bei Bauarbeiten für die künftige Potsdamer Feuerwache in der Türkstraße. In einem zwei Meter tiefen Regenschacht wurde das so genannte Hockergrab entdeckt. Hockergrab wegen der zusammengekauerten Stellung des Skeletts. Von einer Sensation war die Rede, weil so ein Fund einmalig ist für Potsdam. Ein so altes und so vollständig erhaltenes Skelett ist in Potsdam oder der näheren Umgebung bisher nicht gefunden worden. Doch beim ersten Blick auf das Skelett hier in der Halle am Rande von Wünsdorf stimmt etwas nicht. Es fehlt der Schädel! „Der liegt da auf dem Tisch“, sagt Mattern. Und als man ihn auch beim genauen Hinsehen nicht entdecken kann, geht Mattern zu einer Schale, in der eine Plastiktüte liegt. In dieser durchsichtigen Plastiktüte liegt er nun, Potsdams bisher ältester Schädel mit reichlich märkischem Sand im Inneren und wartet auf die Anthropologin.

Seit zwei Wochen ist Thomas Mattern in dieser Halle mit dem Skelett beschäftigt, das kurz nach seiner Entdeckung den verniedlichenden Namen „Pötzi“ erhielt. Mattern, studierter Restaurator, richtet das Skelett für die geplante Ausstellung vom 16. bis 20. Januar im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte her. Wie vor etwa 4500 Jahren beerdigt, liegt das Skelett jetzt vor ihm. Das Grab wurde unter hohem Aufwand aus dem Boden gestochen und nach Wünsdorf transportiert. Mattern hat dann die Knochen Schicht für Schicht freigelegt. Spektakuläres hat er dabei nicht entdeckt.

„Der Mann ist Standard“, sagt Mattern. Zuerst wurde er auf zwischen 20 und 40 Jahre geschätzt, als Grabbeigaben sind mehrere Pfeilspitzen und Teile eines Keramikgefäßes gefunden worden. Jana Vogt, Leiterin der archäologischen Ausgrabungen in der Türkstraße, ließ diese reichen Beigaben vermuten, dass es sich um einen Jäger oder gar einen Krieger gehandelt haben muss. Mattern hält sich mit solchen Einordnungen zurück.

„Wir gehen mit ziemlicher Sicherheit davon aus, dass der Mann etwa 25 Jahre alt war, als er starb.“ Genaues werde man erst erfahren, wenn die Anthropologin den Schädel untersucht hat. Wegen dieser Untersuchung hat Mattern ihn aus dem Grab genommen. „An bestimmten Verwachsungen lässt sich das Alter ziemlich genau datieren“, sagt er. Und woran ist der Mann, genannt „Pötzi“, nun gestorben? Thomas Mattern zuckt mit den Schultern. „Das wird wohl ein Geheimnis bleiben.“ Kein im Kampf eingeschlagener Schädel, keine Pfeilspitze, die seinem Leben gewaltsam ein Ende setzte. Nicht einmal ein spektakulärer Bruch. Die zahlreichen Risse und Brüche an den Knochen seien das Resultat von Bewegungen im Boden und wohl auch zum Teil durch den Transport bedingt. Bei allen Vorsichtsmaßnahmen, ohne Erschütterungen lässt sich so etwas nicht machen. Von den dramatischen letzten Stunden des Ötzi also, der, 800 Jahre vor Pötzi, in den Ötztaler Alpen durch einen Pfeilschuss gemeuchelt wurde, kann hier keine Rede sein. Diese gefundenen Knochen erzählen nicht viel. „Vielleicht war er Jäger, vielleicht ein Fischer, vielleicht aber auch ein Bauer, der sein Feld wegen der Bewässerung nahe an der Havel hatte“, sagt Mattern. Doch das sind nur Vermutungen. Und da man kaum etwas weiß über den Mann aus dem märkischen Sand, sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt.

„Der Fund ist trotzdem spektakulär“, so Mattern. Zwar habe man in Brandenburg schon ein paar solcher Gräber aus dieser Zeit gefunden. „Doch ein so gut erhaltenes Skelett hat es noch nicht gegeben.“ Oft erinnern nur die dunklen Verfärbungen im Sand und ein paar Zähne, das härteste Material am menschlichen Körper, daran, dass vor langer Zeit ein Mensch bestattet wurde. Der feuchte Boden, der das Skelett regelrecht abgeschlossen hat, sorgte dafür, dass die Knochen in diesem Fall noch so gut erhalten sind. Doch Vorsicht ist trotz allem zwingend notwendig.

Mit einem Spachtel fährt Thomas Mattern ganz leicht über einen der Beinknochen. „Hören Sie das?“, fragt er. Das leicht helle Kratzen deutet auf hohle Knochen. Würde Mattern hier mit zu starkem Druck arbeiten, die Oberfläche würde reißen wie Papier. So hat er vorsichtig und mit viel Geduld große Teile des Skeletts freigelegt. Und was hat es mit den bunten Strohhalmen auf sich, die kreisförmig um das Skelett in den Sand gesteckt sind?

Durch die Strohhalme spritzt Mattern in regelmäßigen Abständen ein Gemisch aus Acrylharz in den Sand, dass wiederum die Feuchtigkeit aus dem Boden drückt. Eine nötige Präparation für die geplante Ausstellung. Auch die Oberfläche der Knochen soll noch behandelt werden. Spätestens wenn „Pötzi“ im Januar für vier Tage in Potsdam zu sehen sein soll, wird auch der Schädel an seiner ursprünglichen Stelle liegen. Die kopflose Zeit im Dasein dieses etwa 4500 Jahre alten Skeletts soll schließlich nur eine Wünsdorfer Episode bleiben.

Dirk Becker

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