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Landeshauptstadt: Kreative Buchführung

Die Versorgungslage im Bezirk Potsdam in den 80er Jahren – von der DDR-Staatssicherheit dokumentiert

Stand:

DDR-Wirtschaft – das bedeutete Mangelwirtschaft, die sich in einer schlechten Versorgungslage der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen niederschlug. Dokumente der DDR-Staatssicherheit, die in der Potsdamer Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gefunden und aufgearbeitet wurden, geben heute Auskunft über die tatsächliche Versorgungslage im damaligen Bezirk Potsdam in den 80er Jahren. Wir möchten unseren Lesern diesen Einblick in eine nicht allzu entfernte Vergangenheit vermitteln. Teil 3: Landwirtschaft.

Die Potsdamer Kreisdienststelle (KD) der Staatssicherheit informierte am 19. Mai 1980 über einen Fall von kreativer Buchführung: „Durch leitende Kader des VE Fleischkombinates Potsdam wurde die Manipulation des Betriebsergebnisses im Kombinat bekannt. Im I. Quartal 1980 sei ein Minus von 161.000 M (DDR-Mark, die Red.) entstanden, was der Erfüllung des Kombinatsplanes mit 96,6 % entsprach. Um diese schlechte Planerfüllung zu vertuschen, wurde in Abstimmung mit dem VE Geflügelwirtschaft Potsdam von dessen hohen Betriebsergebnis 300 TM übernommen.“ Zudem wurde beklagt, dass durch Nichtbeherrschung des technischen Prozesses bei der Teigherstellung und beim Räuchern große Mengen Dauerwurst nicht qualitätsgerecht hergestellt wurden, so dass bis zu 16 Tonnen Dauerwurst verdorben seien.

Weiter hieß es: „Nochmals eingehend auf das nicht verwendbare Schweinefett wird durch Experten-IM eingeschätzt, dass die DDR periodisch Schmalzfleisch, dass sog. BRD-Schmalzfleisch aus WB (Westberlin, die Red.) einführt, weil die westlichen Besatzungsmächte in WB ihre Reservelager ergänzen. Die DDR führt also Produkte ein, die wir selbst haben, aber dem Verderb ausliefern, nur weil wir dafür keine ausreichende Verarbeitungskapazität haben.“

Am 5. April 1983 gab die KD Potsdam den Hinweis: „Nach wie vor wird in der op. Meldung bei der Lohnveredlung Lebendvieh eine 100%ige Erfüllung gemeldet. Es ist zwar richtig, dass die Erzeuger Lebendvieh dem Fleischkombinat entsprechend der Planzahl übergeben, welche für das importierte Futter erzeugt wurde, verherrlicht aber in der op. Meldung, dass diese erfüllte Menge Lohnveredlung Lebendvieh nicht nach der Schlachtung als Fleisch weiter nach Berlin geschickt wird. Die Verarbeiterbetriebe leben täglich von der Hand in den Mund.“

Die Vereinigung zur Lenkung der milchverarbeitenden Industrie Bezirk Potsdam schrieb am 30. August 1982 über Maßnahmen in Auswertung des Sekretariatsbeschlusses (vermutlich SED-Bezirksleitung, die Red.) vom Vortag: „1. Sicherung einer kontinuierlichen Versorgung der Bevölkerung mit Trinkmilch und Milcherzeugnissen. Die Produktion in den Molkereien des Bezirkes erfolgt auf der Basis der von der sozialistischen Landwirtschaft bereitgestellten Rohmilch nach folgender Rang- und Reihenfolge: Trinkmilch und Schulmilch, Lieferungen an den VEB Milchhof Berlin und Rohmilchexport; Speisequark, Speisequarkzubereitungen und Frischkäse, Fettkäse; Rücklieferungen u.a. 2. Im Sinne einer weiteren Erhöhung der Rohstoffausbeute werden folgende Veränderungen des Fettgehaltes in Milcherzeugnissen vorgenommen: Reduzierung des Milchfettgehaltes der Trinkvollmilch von 2,5 % auf 2,2 % ab 1. Juli 1982.“

Die Periodische Information vom 19. April 1985 gibt unter Punkt 2 Auskunft darüber, dass im I. Quartal 1985 eine gute Versorgung mit Frischgemüse erfolgte, jedoch die hohen Bestände an Weißkohl und Möhren „nicht voll versorgungswirksam gemacht werden konnten“. Weiter hieß es: „Die Versorgung der Bevölkerung mit Frischgemüse gestaltete sich im I. Quartal 1985 besser als im Vorjahr. Bedarfsdeckend stand Rotkohl bis zur 14. Kalenderwoche zur Verfügung. Angestrebt wird, Weißkohl bis zur 18. Kalenderwoche im Angebot zu haben. Mit Möhren und Zwiebeln wird bis Mitte Mai versorgt. Die übergebenden Fonds für Verpackungsmaterial sichern nur das Angebot abgepackter Äpfel, die vorrangig zur Berlin-Versorgung gelangen. Die Bereitstellung küchenfertiger Sortimente beschränkt sich auf Möhren. Sauerkraut stand nur bis zur 5. Kalenderwoche bedarfsdeckend zur Verfügung. Sterilkonserven wurden bisher stark zurückgehalten, um den Absatz Frischgemüse zu stimulieren. Völlig unbefriedigend ist die Versorgung mit im Angebot Sterilkonserven aus Gurken, Bohnen, Tomatenerzeugnissen sowie mit tischfertigen Gerichten, speziell auf Hülsenfruchtbasis."

In der Periodischen Information vom 4. Oktober 1985 war unter Punkt 2 zu lesen, dass im Bezirk Potsdam die Voraussetzungen geschaffen wurden, um die Hauptstadt der DDR, Berlin, stabil und qualitätsgerecht mit Frischgemüse zu versorgen. Zielstellung: „Dem Bezirk Potsdam ist die Aufgabe gestellt, die Lieferung von Frischgemüse an die Hauptstadt im Zeitraum 1984 bis 1990 auf 160 % zu erhöhen."

Unser Autor Johannes Limberg ist in Babelsberg geboren, ist Student der Neueren und neuesten Geschichte, der Politikwissenschaften und Philosophie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster. Derzeit hält er sich als Erasmus-Stipendiat an der Universität Bergen in Norwegen auf. Zuvor war er Praktikant in der Potsdamer Außenstelle der BStU. Die Außenstelle wird am Jahresende geschlossen.

Johannes Limberg

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