Landeshauptstadt: Krebspatient nicht verhungern lassen
Offener Brief an Platzeck: Hinterbliebene fordern Schließung einer Rechtslücke
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Die Frau und die Tochter eines verstorbenen Krebspatienten haben sich in einem offenen Brief an Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gewandt. Darin weisen sie auf eine „beängstigende medizinische Versorgungslücke“ hin, die „jeden Landesbürger jederzeit treffen kann und die unseres Erachtens schon längst hätte geschlossen sein müssen“. Eva-Maria und Katja Möller benennen in ihrem Brief das „Problem der Versorgung von verhungernden Krebspatienten im häuslichen Bereich“. Trotz jahrelanger Diskussionen sei es bis heute nicht gelöst worden. Demnach sei es Vertragsärzten nicht gestattet, Arzneimittel gegen Tumoranorexie (Appetitlosigkeit) und Tumorkachexie (krankhafter Gewichtsverlust) zu verschreiben. Beides sind Hauptprobleme bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen.
Die beiden Potsdamerinnen erklären in ihrem Brief, dass „5000 bis 6000 Patienten in Brandenburg an Hunger und Kachexie leiden“. Und weiter: „20 bis 30 Prozent sterben daran.“ Auf ähnliche Zahlen wies auch der Potsdamer Arzt Knud Gastmeier in dem PNN-Artikel „Wenn Wasser trinken weh tut“ vom 10. Juni 2006 hin. Den Brief an Platzeck schrieben Eva-Maria und Katja Möller unter anderem „als Reaktion“ auf diesen Artikel. Darin wird auf eine Hochrechnung Dr. Gastmeiers verwiesen, die sich auf Daten des Buches „Symptomorientierte onkologische Therapie. Ein Leitfaden zur pharmakologischen Behandlung“ und auf Zahlen des „Sachbericht Onkologie 2004/2005“ stützt: Demnach verhungerten 2100 Krebspatienten jährlich im Land.
Entgegen der Rechtslage verschreibt Dr. Gastmeier hungernden Krebspatienten Dronabinol-haltige Medikamente. Deren Wirkstoff ist künstliches Cannabis (THC). Einem Patienten aus Sachsen-Anhalt verschrieb er „Marinol“ und rettete ihm damit das Leben. Die AOK Sachsen-Anhalt verklagte ihn daraufhin auf Erstattung der Arzneikosten von 51 000 Euro. Das Verfahren läuft noch.
Auch Bernd Möller, Mann und Vater von Eva-Maria und Katja Möller, wurde im Zuge einer schweren Krebserkrankung von Dr. Gastmeier mit Dronabinol behandelt. Er hatte innerhalb weniger Wochen 15 Kilogramm Körpergewicht verloren, „wurde immer schwächer und verzweifelter“. Der Wirkstoff, der gegenüber dem Importmedikament Marinol zwei bis zehn Euro billiger pro Tag ist, verbesserte seinen Zustand schnell: „Er erbrach nicht mehr, behielt alles bei sich.“
Obwohl die Krebskrankheit tödlich verlief, habte Bernd Möller noch eine Zeit mit Lebensqualität erlebt: Der Krebs war „mit allen seinen Leiden für Wochen in den Hintergrund gerückt“, heißt es in dem Brief an Platzeck. Darin fordern sie den Ministerpräsidenten auf, sich für das Schließen der „Gesetzeslücke“ einzusetzen, denn „nach derzeitigen von der Landesregierung als formaljuristisch korrekt erachteten Gesetzeslagen hätte mein Vater verhungern, qualvoll leiden und früher sterben müssen“. Guido Berg
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