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Sport: Krempel raus – Gold rein

Vor 50 Jahren wurde im Potsdamer Luftschiffhafen der Grundstein für den professionellen Kanu-Rennsport gelegt

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Gestern stand Jürgen Eschert mal wieder vor der Kanuscheune und schaute aufs Wasser. Fast könnte man sagen vor „seiner“ Kanuscheune, die am 8. Mai offiziell eröffnet wird und fortan mehreren Potsdamer Vereinen im Luftschiffhafen ein gemeinsames Heim bieten soll. Da stand Potsdams erster Olympiasieger also unweit des Havelufers und es beschlich ihn wie immer an diesem Ort dieses kaum zu beschreibende Gefühl aus Erinnerung an die Anfangsjahre, an harte und schöne Trainingsstunden, an die ersten Erfolge und die vielen, die noch kommen sollten – alles in allem ein sehr stolzes Gefühl. Schließlich wurde am Freitag vor 50 Jahren an eben dieser Stelle die Wiege des Kanurennsports in Potsdam geschaffen.

Feiern wird der 71-Jährige dieses Jubiläum jedoch nicht. „Das heben wir uns für den 8. Mai auf, wenn die Kanuscheune eröffnet wird“, sagt Eschert, der 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio den ersten Titel an die Havel holen konnte. „Aber es ist dennoch ein schöner Anlass, mal wieder auf die vergangenen Jahre zurückzublicken. Denn in denen haben wir uns schließlich zum erfolgreichsten Kanuklub der Welt entwickelt.“ In der Tat: 119 internationale Titel mit 17 olympischen Goldmedaillen, 102 Siege bei Welt- und Europameisterschaften sowie fast 1000 Medaillen bei Deutschen Meisterschaften sprechen Bände.

Und dabei fing alles so klein an. Als Armeesportklub (ASK) wurde der Verein 1960 in Leipzig gegründet. Einige 18- bis 20-jährige Rennkanuten – unter ihnen auch Eschert – machten damals mit und litten stets unter den recht widrigen Bedingungen in der Sachsen-Metropole. „Auf der Suche nach geeigneten Trainingsbedingungen waren wir damals in der ganzen DDR unterwegs“, erzählt der gebürtige Magdeburger, der mit seinen Mitstreitern sehr froh darüber war, als es zur Umstrukturierung des ASK kam und der Potsdamer Luftschiffhafen als künftiger Sitz auserkoren wurde.

Am 22. März 1963 schafften die Vereinsmitglieder ihre Boote in ein altes Haus vor der heutigen Kanuscheune. Ein alter, inzwischen längst abgerissener Backsteinbau. Den Krempel raus, die Boote rein. Daneben drei Holzbaracken aus dem Krieg – die Unterkunft für die Sportler, in der auch bei Minusgraden übernachtet wurde. Aber: „Potsdam war für uns das Paradies“, erinnert sich Eschert. „Hier hatten wir ausreichend Wasser, konnten bestens trainieren und bauten den Kanurennsport allmählich auf.“ Ein reiner Männerverein sei das damals noch gewesen, die ersten Frauen kamen erst 1969 mit der Fusion des ASK Potsdam und dem SC Magdeburg hinzu.

Was in den kommenden Jahren folgte, war eine ganz besondere Erfolgsgeschichte, die nicht selbstverständlich war. Schließlich gab es zu jener Zeit bereits erfolgreiche Kanuvereine, wie etwa DHfK Leipzig, SC Magdeburg oder SC Rostock. Und die Potsdamer hatten einen Klub mit sehr viel jungen Nachwuchs- Athleten. „Und es war der erste richtige Profiklub“, bestätigt Eschert. „Die Sportschule war zwar noch nicht von Brandenburg nach Potsdam umgezogen. Aber als das Anfang der 70er Jahre der Fall war, konnte endgültig vernünftiger Leistungssport praktiziert werden.“

Seitdem folgte eine Ära mit namhaften Athleten der nächsten: Die erste etwa mit Anita Kobuss und Helga Ulze, die 1966 Potsdams erste Kanu-Weltmeisterinnen wurden. Mit Jürgen Eschert als erstem Potsdamer Olympiasieger, mit Petra Grabowski, die olympisches Gold in München holte, und mit Weltmeister Reiner Kurth.

Anfang der 80er Jahre folgte die Hoch-Zeit von Kanulegende Birgit Fischer, von Frank Fischer, Ingo Spelly, Ulrich Papke, Peter Hempel, Uwe Madeja und Jörg Schmidt, die allesamt zahlreiche Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften sammelten.

Ende der 80er Jahre begann dann die Erfolgsgeschichte von Torsten Gutsche, der mit Kai Bluhm dreimal Gold bei Olympia erkämpfte, und Gunnar Kirchbach – Olympiasieger und Weltmeister im Canadier.

Mit dem neuen Jahrzehnt sorgten schließlich Katrin Wagner und Manuela Mucke, Tim Wieskötter, Ronald Rauhe und Fanny Fischer für zahlreiches Edelmetall. Wieskötter, Wagner-Augustin und Ronald Rauhe waren auch bei Olympia in London dabei, aber eben auch die überragenden Athleten der neuen Ära: Franziska Weber, Sebastian Brendel und das junge Duo Kurt Kuschela und Peter Kretschmer, die in London allesamt Gold erpaddelten.

Und die Aussichten? „Die sind rosig, allein im Canadierbereich haben wir alles abgedeckt“, weiß Jürgen Eschert, der dem Verein lange Zeit vorstand, den Förderverein zur materiellen Absicherung der Athleten mit ins Leben rief und heute dessen Ehrenvorsitzender ist. „Bis zu den Olympischen Spielen in Rio müssen wir uns garantiert keine Sorgen machen.“

Den Weg von seinem Haus auf Hermannswerder zum Luftschiffhafen legt er indes oftmals noch immer mit dem Canadier zurück. Nur derzeit noch nicht. „Aber bei fünf Grad gehts sofort raus.“

Henner Mallwitz

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