Homepage: „Krieg gegen Terror ist sinnlos“
Terror-Expertin Louise Richardson verriet auf Einladung des Einstein Forums, was Terroristen wollen
Stand:
Frau Richardson, Sie sehen in den Anschläge vom 11. September keine neue Qualität des Terrorismus.
So pauschal würde ich es nicht sagen. Es gab eine Reihe von neuen Aspekten bei den Anschlägen, etwa ihr Ausmaß, dass sie erstmals auf dem Boden der USA stattfanden und dass die Terroristen so viele Menschen wie möglich töten wollten. Aber die Aussage der US-Regierung, dass die ganze Welt sich dadurch komplett geändert habe, teile ich nicht. Es gab eine Überreaktion. Die beiden größten Fehler der US-Regierung waren, einen Krieg gegen den Terrorismus auszurufen und die Feindschaft mit Saddam Hussein und Osama Bin Laden weiter zu entfachen.
Was wurde versäumt?
Zwei wichtige Möglichkeiten. Zum einen, die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren. Die Antwort wäre effektiver gewesen, wenn wir durch die internationale Gemeinschaft hindurch gewirkt hätten. Zum anderen wurde versäumt, die amerikanische Öffentlichkeit über die Natur des Terrorismus aufzuklären. Nun trägt die USA schwer an den Konsequenzen dieser Versäumnisse.
Das Ausmaß der Anschläge machte in der Öffentlichkeit einen „Krieg gegen den Terror“ plausibel. Auch wusste anfangs niemand genau, welche Kräfte hinter den Angriffen steckten.
Ein Grund mehr dafür, dass es falsch war diesen Krieg zu erklären. Terrorismus ist eine Taktik. Es macht keinen Sinn einer Taktik den Krieg zu erklären. Terror ist ein Gefühl, das kann man nicht mit einem Krieg bekämpfen. Durch diesen Krieg haben wir eine Situation geschaffen, in der wir keinen Erfolg haben können. Die USA haben zwar die westliche Welt hinter sich gebracht, aber sie haben sie in die falsche Richtung geleitet.
Hatte die „Kriegserklärung“ ein Konzept?
Es war eher ein Reflex. Der andere Teil der Wahrheit ist die massive militärische Macht der USA. Man bedient sich der Mittel, die man hat. Wenn man in die Geschichte des Terrorismus in Demokratien schaut – etwa auch der RAF in Deutschland – antworten die Regierungen meist mit drakonischen Maßnahmen. Aber dies hat nie zu etwas geführt. Die Öffentlichkeit unterstützt solche Maßnahmen immer, weil niemand einen Anschlag will. Doch es braucht viel Zeit um festzustellen, dass es einer viel differenzierteren Antwort bedarf. Anstatt aber aus den Fehlern anderer Regierung zu lernen, haben die USA gesagt, es ist eine völlig neue Situation, die eine ganz außergewöhnliche Antwort braucht. Nun haben wir einen Krieg, den wir nicht gewinnen können, weil wir nicht wissen, wie der Sieg aussehen soll. Ist es denn eine Sieg, Saddam Hussein oder Osama bin Laden zu töten?
Welche Folgen hat die aktuelle Strategie?
Wir machen es dem Terrorismus zu einfach. Man kann kein Land vor Terror schützen. Terroristen können in jedes Cafe gehen und dort einen Anschlag verüben. Um zu beweisen, dass die stärkste Nation der Welt nicht gewinnen kann. Wir spielen nach den Spielregeln der Terroristen. Dabei sind sie doch wesentlich schwächer als wir. Wir werten sie erheblich auf, wenn wir ihnen den Krieg erklären. Wir spielen direkt in ihre Hände. Terroristen werden von einer Lust zur Rache getrieben, sie wollen Ruhm und sie wollen provozieren. Das alles wurde nur angestachelt, indem man sie zum „Public Enemy“ gemacht hat.
Neu an Al-Qaida ist aber die weltweite Vernetzung.
Das Internet hat ihnen tatsächlich eine völlig neue Dimension eröffnet. Aber ich denke, das starke Feedback der Terroristen im Internet ist ein Resultat unserer Kriegserklärung. Es macht mir allerdings Sorgen, dass Al-Qaida heute via Internet eine virtuelle Gemeinschaft von Unterstützern weltweit schaffen kann. Der Cocktail, der zum Terror führt, besteht aus unzufriedenen Individuen, einer zustimmende Gemeinschaft und einer legitimierenden Ideologie. Das findet man überall auf der Welt. Und heute kann sich jemand aus Pakistan mit jemanden in Hamburg zusammenschließen. Die Gemeinschaft muss nicht mehr physisch vorhanden sein. Das ist sehr schwer zu bekämpfen. Unsere Gegenkampagne muss auch im Internet stattfinden und wesentlich aggressiver sein.
Sie sagen, Terroristen sind keine Verrückten.
In der Tat. Ich sehe sie als rational handelnde politische Akteure mit wohlüberlegtem taktischem Kalkül und langfristigen Zielen. Die meisten Organisationen filtern Psychopathen und Verrückte heraus, weil die ein Sicherheitsrisiko sind. Auch Selbstmordanschläge sind rational geplante Aktionen, weil sie ein Maximum an Opfern versprechen. Auch die Sicht des Täters ist rational, er opfert sich für eine höhere Sache. Hier besteht kein großer Unterschied zu Soldaten, die sich seit Jahrhunderten für ihr Vaterland opfern. Zudem lockt Selbstmordattentäter der Ruhm, die Möglichkeit ein „Superstar“ zu werden. Auch dies ist nicht irrational. Es ist ein Fehler,Terroristen einfach als Irre abzutun. Sie sind es nicht.
Was halten Sie für das wichtigste Ziel im Kampf gegen den Terror?
Wir müssen das Ruder komplett herumreißen. Wir müssen aufhören, die Sprache der Kriegsführung zu sprechen. Wir müssen aus dem Irak heraus. So lange unsere Truppen dort sind, können unsere Gegner sagen, dass wir dort sind, um den Islam zu bekämpfen oder ihnen die Eigenständigkeit zu nehmen. Ich weiß, dass ein Rückzug einen hohen Preis hat, ich weiß auch, dass Al-Qaida dies als ihren Sieg verkaufen würde. Dennoch: Wir müssen einen Krieg der Ideen führen, uns darauf besinnen, dass unsere westlichen Werte die attraktiveren sind.
Was denken Sie über einen Beitritt der Türkei in die EU?
Abgesehen von den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die bis zu einem Beitritt abgestellt sein müssten, wäre die symbolische Bedeutung davon, ein muslimisches Land zu einem aktiven Mitglied der EU zu machen, enorm. Dies wäre ein wunderbarer Zug, um islamistischen Ideologien ihre Attraktivität zu nehmen.
Interview und Übersetzung Jan Kixmüller
Louise Richardson ist Dekanin des Radcliffe Institute for Advanced Study der Harvard University. Auf Einladung des Einstein Forums sprach sie über Fehler im Kampf gegen den Terrorismus.
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