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Homepage: Kultstätte am Alten Markt

Bei Ausgrabungen unter dem Stadtschlossareal wurden Spuren einer über 5000 Jahre alten Besiedlung entdeckt

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Der jahrelange Streit um die Wiederbebauung des Alten Marktes erscheint als kurzes Geplänkel, betrachtet man die Besiedlungsgeschichte des Ortes in seiner Gänze. Dort, wo im Mittelalter zwischen Havel und dem heutigen Platz der Einheit die Keimzelle Potsdams lag, führen die Spuren der menschlichen Besiedlung noch viel weiter zurück. Während die Zeiten als Residenz der Kurfürsten im 17. Jahrhundert und die folgenden Jahre unter Preußens Königen hinreichend bekannt sind, liegt die frühzeitliche und mittelalterliche Geschichte weitgehend im Dunkel der Vergangenheit.

Nicht aber für den Archäologen Dr. Jonas Beran von der Archäologie-Manufaktur, der zurzeit die Ausgrabungen am Alten Markt leitet. Er kann alles in den Sandschichten ablesen, die unter dem ehemaligen Fundament des Stadtschlosses ausgegraben werden. Er blättert darin wie in einem monumentalen Geschichtsbuch. Beran findet Spuren mittelalterlicher Holzkeller, er sieht zwei große Brände, die die Siedlung etwa um 1240 und um 1350 zerstörten. Dunkle Streifen, die den Sand durchziehen, erkennt er als Fahrrinnen unbefestigter mittelalterlicher Wege; diverse Brunnen, Töpferöfen und Schmieden haben die Forscher bereits gefunden. Dass das Stadtschloss bis zu seiner Sprengung Anfang der 50er Jahre hier stand, ist für die Archäologen ein Glücksfall, denn darunter wurde die Geschichte sozusagen konserviert.

Auf dem Areal des heutigen Alten Marktes befand sich ein mittelalterliches Stadtviertel mit rechtwinklig angeordneten Wegen. Dem Archäologen Beran sagt der Blick in die Sandgruben mehr als mancher Heimatkundler bislang weiß. So war der östliche Rand der Siedlung – heute etwa vor dem Alten Rathaus – der reichere Teil, hier fanden sich Spuren von Bierfässern und Münzen in den Kellern, offenbar ein Stadtviertel mit Kneipen. Der westliche Teil zur heutigen Friedrich-Ebert-Straße war hingegen das Viertel der Töpfereien und Schmiede-Werkstätten. Zwei Münzschätze wurden auf dem Areal bereits bei früheren Grabungen entdeckt. Urkundlich erstmals erwähnt wurde der Ort im Jahr 993 als Poztupimi, was im Slawischen soviel wie „Unter den Eichen“ heißen könnte. Seine Bedeutung erhielt die Siedlung durch die Beherrschung des Havelübergangs.

Je tiefer die Archäologen graben, desto interessanter wird es. Die ältesten Funde menschlicher Aktivitäten, die bei den seit 1999 laufende archäologischen Arbeiten auf dem Areal zu Tage traten, sind zwei Feuerstein-Stielspitzen altsteinzeitlicher Rentierjäger vom Ende der letzten Eiszeit (10 000 v. Chr.). Entdeckt wurde auch ein von Nordwesten unter dem Fortunaportal hindurch zur Havel verlaufender zehn Meter breiter und anderthalb Meter tiefer Befestigungsgraben aus der Zeit um 3500 v. Chr. und ein etwas jüngerer doppelter Palisadenzaun, der den Platz trapezförmig umfriedete. Darin fanden sich mehrere jungsteinzeitliche Gräbergruppen, teilweise mit Beigaben wie Keramikgefäßen, Feuersteinwerkzeugen und Bernsteinschmuck. Die Keramiken sind zum Teil Zeugnisse der Havelländischen Kultur, einer spätneolithischen Besiedelung im brandenburgischen Havelland (ca. 3200 bis 2800 v. Chr.), die wiederum enge Kontakte zu Kulturen im Raum des heutigen Sachsen-Anhalts und Frankens hatten.

Nahezu bei jeder Witterung graben sich die Archäologen am Alten Markt durch die Schichten der Vergangenheit. Es muss schon über 40 Grad, strenger Bodenfrost oder Sturzregen herrschen, dass sie die Schaufeln liegen lassen. Was sie bei ihrer Arbeit zu Tage fördern, ist beachtlich. Jonas Beran öffnet eine unscheinbare Pappkiste. Aus einem Tütchen schüttet er kleine spitze Feuersteine in seine Hand: Pfeilspitzen aus der Jungsteinzeit. In einer anderen Schachtel liegt ein Siegel und ein Fingerhut aus dem Mittelalter. „So etwas findet sich meist in den Fahrspuren, wo es einst verloren ging.“ Dann zieht Beran die Reste einer reich verzierten Schale empor. Keine Vase, sondern wahrscheinlich ein Essgefäß aus der Havelländischen Kultur: Alter rund 5000 Jahre.

Spektakulär dann auch der Fund eines ebenfalls etwa 5000 Jahre alten Grabes mit einer Kette aus 49 Bernsteinen, einer Pfeilspitze und einem Stück Zahn (PNN berichteten). Aufgrund des Schmucks ordnen die Archäologen die Grabstätte einer Frau zu, von ihren Knochen waren allerdings nur noch Verfärbungen im Sand zu erkennen. Die Pfeilspitze könnte eine Grabbeigabe gewesen sein. Da in solchen Fälle aber eher Köcher mit mehreren Spitzen beigelegt wurden, könnte es sogar sein, dass der Pfeil die Ursache für den Tod der Steinzeitfrau war.

Spuren steinzeitlicher Besiedlung sind in Brandenburg in Nähe der Havelufer für den Archäologen Beran nichts Ungewöhnliches. Etwas Besonderes allerdings seien die in Potsdam am Alten Markt und an der Schiffbauergasse vorgefundenen Befestigungen aus der Jungsteinzeit. „Das kennt man sonst vorwiegend aus Süddeutschland und Dänemark“, so Beran. Auch die Bernsteingaben in dem Grab seien „bemerkenswert“. Bernsteinketten mit vergleichbar vielen Perlen sind nur aus Niedersachsen und Dänemark bekannt.

Relativ ungewöhnlich für die Jungsteinzeit sei auch die rechteckige Form der Pallisadenbefestigung am Alten Markt. Vergleichbare Anlagen aus dieser Zeit hätten sonst eher eine ovale Form. Unter Fachleuten werde nun diskutiert, ob die Form religiöse Gründe gehabt haben könnte. Dafür würde sprechen, dass innerhalb der Umfriedung zwar Gräber aber keine Abfälle menschlicher Siedlungen gefunden wurden. „Es könnte also ein Versammlungsort oder religiöser Kultplatz gewesen sein, der durch die Umwallung hervorgehoben wurde“, erklärt der Archäologe. Auch ein astronomischer Hintergrund sei möglich. Die Archäologen sprechen von einem zentralen Versammlungsort – vergleichbar mit einer Kirche oder Tempelanlage. Eine Vermutung, die die geplante Wiederbebauung mit dem Landtag auf dem ehemaligen Schlossareal in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt: Der Alte Markt als zentraler Versammlungsort mit einer Traditionslinie, die weit bis in die Steinzeit zurück reicht.

Die Bedeutung des Areals am Alten Markt erschließt sich allein schon durch die Geographie. Wie eine Insel thront der Platz zwischen einst sumpfigen Niederungen. Hinzu kommt die Nähe zur Havel. Das Gebiet sei zu fast allen Zeiten besiedelt gewesen, so das Fazit der Archäologen. Besonders zahlreiche Spuren hinterließ ein Dorf der spätesten Jungsteinzeit (um 2000 v. Chr.). „Hunderte von Bodenverfärbungen markieren die Standpunkte der hölzernen Wandpfosten der Häuser“, erklärt Archäologe Beran.

Dann allerdings verlieren sich die Spuren der steinzeitlichen Besiedlung am Alten Markt. Erst mit den Slawen, die im 7. Jahrhundert eine Burganlage errichteten, wird der Ort wieder belebt. Was in der Zwischenzeit passierte, wissen auch die Archäologen nicht. Beran vermutet, dass die Menschen auf andere Siedlungen in der Nähe, etwa an der Burgstraße, ausgewichen sind. Die Gründe dafür liegen noch im Dunkel der Zeit verborgen.

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