GARTEN IN DREWITZ: Kulturkampf im Grünen
„Guerilla Gardening“: Wilde Gärten als Gegenbewegung zur Dienstleistungsgesellschaft / Sommerakademie an der FH Potsdam
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Im Rahmen der Kulturmanagement-Sommerakademie „Synaxis Baltica 09“ soll nach Vorbild des Schul- und Integrationsgartens im Schlaatz auch im Potsdamer Stadtteil Drewitz ein Gemeinschaftsgarten entstehen. Alle Bürgerinnen und Bürger aus Drewitz und dem Schlaatz sind eingeladen, an der Erschaffung des Gemeinschaftswirkens teilzunehmen. Ein erstes Informationstreffen findet heute um 17 Uhr auf dem Ernst-Busch-Platz statt. Am 4. August folgen ab 18 Uhr erste Spatenstiche, danach wird er Drewitzer Gemeinschaftsgarten festlich eröffnet. PNN
Eines morgens war plötzlich das verdreckte Karree um den Straßenbaum ein kleiner Garten. Wo vorher die Hunde ihr tägliches Geschäft verrichtet hatten, blühen nun bunte Blumen, wachsen Disteln und Basilikum. Drumherum geben ein paar Pflöcke und ein Seil das Signal: Hier ist ein Garten! Über Nacht hatte jemand im öffentlichen Raum vollendete Tatsachen geschaffen, eine Stadtguerilla war am Werk gewesen: Ein klarer Fall von „Guerilla Gardening“.
Am Studiengang Kulturmanagement der Fachhochschule Potsdam findet derzeit eine Sommer-Akademie zum Thema „Community Gardens und Guerilla Gardening“ statt. Junge Studierende von zehn Hochschulen aus Ländern des Ostseeraums treffen sich noch bis 7. August in Potsdam. Nicht nur der akademische Austausch über das Phänomen der heimlichen Aussaat von Pflanzen im öffentlichen Raum ist Ziel, auch soll es in der kommenden Woche in Potsdam mehrere wilde Pflanzaktionen geben. Und schließlich will man in Drewitz einen Gemeinschaftsgarten nach Vorbild des Schlaatzer Gartens erschaffen. „Die Anwohner können dann mit eigenen Händen dort etwas schaffen“, sagt Josephine Heide, Leiterin des studentischen Projektes. „Das Gute an dieser Arbeit ist, das man das Ergebnis gleich sieht.“
Die Motivationen für das Phänomen sind vielfältig. Sie reichen von schlichtem Taten- und Veränderungsdrang über künstlerisch-gestalterische Kreativität bis zum politischen Protest. In armen Regionen der Welt – etwa in Afrika – kommt noch die Nahrungsbeschaffung als ein Aspekt hinzu. Guerillagärtner und Gemeinschaftsgärten erhalten weltweit immer mehr Zuspruch. Das Phänomen ist nicht nur in New York und London bekannt, auch San Francisco, Buenos Aires und Berlin sind Hochburgen, in Honduras, Mexiko, China sowie in afrikanischen Ländern wird ebenfalls wild gegärtnert.
„Für uns Kulturmanager ist das Phänomen interessant, weil es Teil einer gesellschaftlichen Bewegung ist, die versucht aus den Strukturen hochspezialisierter Dienstleistungsangebote auszubrechen“, erklärt der Leiter des FH-Studiengangs Kulturarbeit, Prof. Hermann Voesgen. Es handele sich um eine Gegenbewegung, die zwischen isolierten Gruppen der Gesellschaft Zusammenhalt herstellen will. Anstatt körperlicher Bewegung individuell, etwa im Fitness-Studio nachzugehen, könne man in der Gruppe gemeinsam Gärten erschaffen, die dann wieder gemeinsamer Treffpunkt werden. „Derzeit findet ein Kulturkampf statt, zwischen der Spezialisierung und dem Versuch, Zusammenhänge zu schaffen“, so Voesgen.
Diese Zusammenhänge würden gerade in der „Krise der Berufsarbeit“ zunehmend nötig. Menschen, die keinem festen Job nachgehen, könnten durch solche Gartenprojekte eine sinnvolle Tätigkeit und Anerkennung in der Gesellschaft erhalten. Voesgen erinnerte daran, dass sich gerade in der jungen Generation so etwas wie ein akademisches Prekariat ausbilde – Hochschulabgänger ohne Arbeit. „Die könnten nun Pfeffer in die Bewegung bringen, wie etwa die arbeitslosen Lehrer in die westdeutsche Protestbewegung der 70er Jahre“, schätzt Voesgen.
Mit dem Projekt in Drewitz will man einen Anstoß für die Anwohner geben. „Gerade in Plattenbausiedlungen gibt es großen Bedarf, meist fehlt es dort an Treffpunkten“, erklärt Projektleiterin Josephine Heide. Die Studentin Karolina Kuusi aus Finnland ist eher zufällig in die Sommerakademie geraten. In Finnland sei die Garten-Bewegung weitgehend unbekannt. Sie wohnt in Helsinki: „Dort gibt es ausreichend grüne Plätze, die Menschen haben kaum die Motivation, selbst etwas anzupflanzen.“ Dennoch habe sich nun ein Gruppe gebildet, die Gemeinschaftsgärten anlegen möchte. Die Stadt Helsinki sei sehr unkonventionell damit umgegangen: Sollten Guerilagärtner einen passenden Ort finden, könnten sie einfach mit ihrer Aktion beginnen, habe es geheißen.
In Berlin läuft das schon anders. Die Gärtchen um Straßenbäume dulden zwar einige Bezirke, auch in Potsdam werden die kleinen Grünanlagen toleriert. Doch was mit wild angelegten Gemeinschaftsgärten passiert, die auf Bauland liegen, zeigte Julia Jahnke, Absolventin der Humboldt Universität und passionierte Guerillagärtnerin auf Filmmaterial: Die grünen Treffpunkte werden von der Polizei geräumt und von den neuen Eigentümern zerstört. Für die junge Forscherin ist das Phänomen ohnehin mehr als nur grüne Schaffenskraft. Ihr Hypothese: „Politisches Guerilla-Gardening ist wie Guerillakrieg, es geht darum bestimmte Umstände zu ändern.“ Gerade die Landnahme spielt hier wohl eine Rolle, aber auch Unzufriedenheit mit bestehender Stadtplanung. Wenn ein Wechsel erreicht sei, etwa eine Fläche für die Öffentlichkeit als Grünfläche festgeschrieben wurde, könne die Bewegung auch wieder überflüssig werden. Für den neuen Gemeinschaftsgarten Drewitz geht die FH-Gruppe geregelte Wege: Mit dem Partner „Pro Potsdam“ hat das Projekt die Stadt auf seiner Seite.
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