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Landeshauptstadt: Küsschen für die Schläger

Der Prozess um den „Tram-Überfall“ erlaubt brisante Einblicke in die Potsdamer Neonazi-Szene

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Tamás B. lacht gequält. „Wahrscheinlich war es die harte Luft, die mir gegen den Kopf getreten ist“, sagt er. Inzwischen hat er von zehn der elf Angeklagten im Prozess um den brutalen Überfall auf ihn und seinen Freund Christoph B. gehört, dass die Beschuldigten nichts mit der Gewalttat im vergangenen Juli zu tun haben wollen. Er glaubt ihnen nicht, hat er doch einige während der Attacke erkannt. Tamás B. sagt noch mehr: „Im vergangenen Sommer ist die Berliner und Potsdamer Nazi-Szene durchgedreht und hat hier gezielt Jagd auf Linke gemacht.“ Und in diesem, seinem Verfahren sitzt der „harte Kern“ der militanten Szene der Stadt, sagt der füllige Hüne.

Langsam nähert sich der Doppel-Prozess um den „Tram-Überfall“ am Landgericht Potsdam seinem Ende. Elf Personen zwischen 18 und 32 Jahren sind angeklagt, allesamt aus der rechtsextremen Szene. Sie werden des versuchten Mordes beschuldigt – allerdings hat die Staatsanwaltschaft den Vorwurf in dieser Woche auf gefährliche Körperverletzung heruntergestuft, weil die Verletzungen der beiden Opfer nicht gänzlich lebensbedrohend gewesen sind. Für die fünf Angeklagten, gegen die vor der Jugendkammer des Gerichts verhandelt wird, soll am Montag ab 10 Uhr das Urteil verkündet werden. Vor der Ersten Strafkammer fällt der Richterspruch für die anderen, über 21-jährigen Beschuldigten voraussichtlich rund eine Woche später.

In der Nacht zum 3. Juli 2005 sollen die mutmaßlichen Täter eine Tram in der Friedrich-Ebert-Straße per Notbremse gestoppt haben, weil sie Tamás B. als einen stadtbekannten Linken identifizierten. Laut Staatsanwaltschaft bildeten sie dann um Tamás B. und Christoph B. eine Art Kreis. Ein bis zwei Minuten später lagen die beiden in ihrem Blut auf der Straße. Die Täter: weggerannt. Noch in der Nacht fasste die Polizei per Nahbereichsfahndung erste Verdächtige. Mit Hilfe der Aufnahmen der Videokamera in der Straßenbahn wurden in den folgenden Tagen weitere Insassen der Tram ermittelt.

Alle sitzen sie nun im Gericht und leugnen, sich an der Tat beteiligt zu haben. Bis auf zwei: Marcell Sch., der seine früheren Kameraden in der Ersten Strafkammer belastete. Und Sandra C., die im Jugendverfahren zugab, Tamás B. als Erste attackiert zu haben: Die 18-Jährige schlug ihre Bierflasche auf seinen Kopf, er brach zusammen. Für ihre Tat drohen ihr nun bis zu vier Jahre und sechs Monate Gefängnis. Welche Strafe die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer am kommenden Dienstag für Marcell Sch. fordern wird, ist eine der spannenden Fragen. Der 23-Jährige hatte mit seiner Aussage wesentlich dazu beigetragen, dass die Anklage wegen versuchten Mordes zustande kam. Im Gericht sagte er – nach dem er vorher sein polizeiliches Geständnis noch einmal widerrufen hatte – besonders gegen Oliver O. aus. Dieser habe Tamás B. mehrmals gegen den Kopf getreten. Allerdings bestreitet Marcell Sch., selbst zugeschlagen zu haben. Mit einer einfachen Begründung: Er habe das Geschehen aus mindestens zehn Metern Entfernung betrachtet, in Bereitschaft, die Opfer festzuhalten, falls sie hätten fliehen wollen.

Seine Offenheit hat Marcell Sch. nicht nur die völlige Missachtung seiner ehemaligen Kumpanen eingebracht. Er und seine Freundin erhielten Drohungen. Nach PNN-Informationen sind in der rechtsextremen Szene SMS herum geschickt worden, dass er „zum Abschuss freigegeben“ sei. Zeilen wie „Verpiss dich aus Deutschland“ sollen auf seinem Handy angekommen sein.

Die rechtsextreme Szene schien dem Prozess enorme Bedeutung zuzumessen. Rund 40 Neonazis begleiteten mit ihrer Anwesenheit vor und im Gericht den ersten Prozesstag kurz vor Weihnachten. Inzwischen hat das Interesse aber nachgelassen: Nur ein paar Freundinnen der Angeklagten kommen noch regelmäßig zu den bis zu siebenstündigen Verfahren. Kurze Küsschen. Auch sie sind zum Teil einschlägig bekannt: Etwa Melanie W., die zur Potsdamer Anti-Antifa gezählt wird. Sie soll regelmäßig Linke fotografieren, um mit den Aufnahmen Feindeslisten von den politischen Gegnern zu erstellen. Um ihnen zu drohen.

Ob Melanie W. am Tat-Abend im Juli auch im Buga-Park war, lässt sich wohl nicht mehr rekonstruieren. Doch viele andere Rechtsextremen feierten dort. Tranken. Grillten. Hörten Musik aus der Szene. Unter den Teilnehmern jenes nationalen „Fests“ war zum Beispiel Marcus Sch., bei dem die Verlesung der Vorstrafen samt ihren Details während der Verhandlung mehr als zwei Stunden dauerte. Richter Frank Tiemann holte dabei ständig neue Aktenordner über die Vergehen von Marcus Sch. hervor. Dazu gehörte beispielsweise 1994 ein doppelter Überfall zusammen mit anderen Rechten auf zwei Lokale in der Potsdamer Umgebung. Dafür musste er drei Jahre ins Gefängnis. Durch die Biografien der meisten Angeklagten ziehen sich solche Vergehen. Gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Militante Hakenkreuz-Gesinnung.

Nicht nur die rechtsextreme Szene konnte ihre Anhänger für den Prozess mobilisieren. Der antifaschistische Verein Jugend engagiert in Potsdam e.V. (JEP) hat eigens Beobachter für das Verfahren abgestellt, die abwechselnd bei allen Verhandlungen mitschreiben. Aus dem gesammelten Material soll spätestens im Sommer eine Info-Broschüre entstehen. „Der Angriff richtete sich gegen einen in der Stadt bekannten und unter den Nazis gehassten Antifaschisten“, sagt Sonja L. von JEP. Der Fall beweise exemplarisch, dass die menschenverachtende Ideologie der Täter jeden zum Opfer macht, der nicht in ihr Weltbild passt.

Doch die mutmaßlichen Täter leugnen – auch, weil der Überfall nur von wenigen Zeugen beobachtet wurde. Beweise wie die Video-Aufnahmen aus der Bahn zeigen zwar, wie sich einige der Angeklagten im Sommer Handschuhe überziehen, aber nicht, wie sie zuschlagen. Zentrale Momente wie der Stich mit einer abgebrochenen Bierflasche in Gesicht und Hals von Christoph B. lassen sich so wohl nie direkt einem Täter zuordnen – außer, jemand gibt die Tat zu. So wollen die meisten Angeklagten zügig geflüchtet sein, als sie sahen, wie Sandra C. ihre Bierflasche auf dem Kopf von Tamás B. zerschlug.

Deswegen sehen sich wohl auch einige der Angeklagten als Opfer von Öffentlichkeit und Justiz, die sie aus politischen Gründen beschuldigen – weil sie eben Rechtsextremisten sind.

So stehen die Namen der Beschuldigten Oliver K. und Michael G. auf der Liste der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG). Laut brandenburgischem Verfassungsschutz ist die HNG eine bundesweite Organisation, die inhaftierten Rechtsextremisten vor allem ideologischen Zuspruch gibt. Der HNG wird ein zentrale Stellung in der Szene bescheinigt, weil sie Kontakte zwischen organisierten und nicht-organisierten Rechtsextremisten ermöglicht. Es sind solche Einblicke, die den Prozess brisant machen. Und die es für die Anwälte von Tamás B. und Christoph B. so unglaubwürdig erscheinen lassen, dass die Angeklagten nicht bei dem Überfall mitgeprügelt haben.

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