KulTOUR: Landschaft, Landhaus, Kolonie
Vortrag zum europäischen Stellenwert der Havelländischen Malerkolonie
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Schwielowsee - „Zauberhaftes Museum, schnuckeliges Kleinod“, schwärmen die ersten Besucher des im Juli eröffneten Kossätenhauses zu Ferch von München bis Kanada im Gästebuch. Das schmucke Gebäude zieht nicht nur Besucher an, es pinselt gleichsam am gesamten Ort: „Malerdorf“ ist man wohl nicht, man wird es. Auch die Kunsthistorikerin Ruth Negendanck vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg war am Freitag voller Begeisterung für Landschaft und für den historischen Bau, stand ihr doch direkt vor Augen, was sie in ihrem Vortrag über die „Künstlerkolonien in Europa. Abhängigkeit oder Austausch zwischen Metropole und Peripherie“ über Ferch, Karl Hagemeister und die restliche Welt zu berichten hatte.
Über hundert solcher „Kolonien“ hatten sich bis Ende des 19. Jahrhunderts in Europa gegründet, von Barbizon bei Paris bis ins osteuropäische Nidden, am Chiemsee, in Worpswede und Ahrenshoop, vom schwedischen Rackstad bis in die Gegend von Krakau, von Hiddensee bis nach Abramcevo bei Moskau. Und Hagemeister, der Schwielowsee? Mittendrin, in vergleichbarer Lage, meinte die Referentin. Obwohl keine Freundin der wissenschaftlichen Systematik, wagte sie dennoch eine Einteilung der verschiedenen Gründungen. Den Urtypus sieht sie in Worpswede oder Ahrenshoop. Hier entdeckten die Künstler mit der Einsamkeit auch die Natur, das einfache Landleben. Fernab von Infrastruktur und Zivilisation lebten sie „mit armen Bauern oder einfachen Fischern“. Für die Kunsthistorikerin ist der Begriff „Kolonien“ stets mit Sesshaftigkeit verbunden, anders als bei den akademischen Malschulen, die sich nur ab und zu ins Freie wagten. Frankreich hört dieses Wort übrigens nicht gern, erinnert es doch an seine imperiale Vergangenheit.
Das „Gasthaus-Modell“ ist Typ zwei, im frühen 19. Jahrhundert in Barbizon zu finden, später zu Nidden an der östlichen Ostsee oder inmitten des „Bayerischen Meeres“, auf der Fraueninsel im Chiemsee, was für Ferch noch Bedeutung gewinnen sollte. Den dritte Typ nannte sie „Landhaus-Stil“, weil sich die Künstler hier bei ihren Mäzenen niederlassen konnten, auf Hiddensee etwa seit Oskar Kruse-Lietzenburg, oder dort bei Moskau. Diese Art blieb aber immer mit der Großstadt verbunden.
Allmählich wurde es besonders eng um die oberbayerische Einsamkeit, es bildeten sich Tochter-Kolonien oder Filiationen – der Weg für eine weitläufige „Künstler-Landschaft“ war bereitet. Dieses Muster projizierte Ruth Negendanck nun im direkten Vergleich mit dem Chiemsee auf den Schwielowsee, und es passte: Urtyp des Modells der „Künstler-Landschaft“ war „eindeutig“ Ferch, was die anwesende Bürgermeisterin Kerstin Hoppe gefreut haben dürfte.
Karl Hagemeister, der seinen künstlerischen Durchbruch in München und Dresden erlebte, war sozusagen der „Ur-Kolonist“, während mit Theodor Brockhusen und weiteren auch Baumgartenbrück (Gasthaus-Typ) und neue Orte hinzukamen, bis sich die ganze Gegend in die jetzt erkannte „Künstler-Landschaft“ verwandelte. Das lässt sich an Namen und vielen Details festmachen, trotzdem, so die Referentin, stehe diese Forschung erst am Anfang. Auch Wissenschaft kann eben manchmal nützlich sein.
Chiem- und Schwielowsee sind also nahe verwandt, es gab sogar einen direkten und personellen „Transfer“ (Karl Raupp) – auch Hagemeisters Einfluss auf die süddeutschen Maler sei bisher nahezu unbekannt.
Den Grundstock für diese folgenreichen Entdeckungen hat unbestritten das wiedererstandene, „schnuckelige“ Kossätenhaus gelegt, auch die Fundamente zur Theorie sind nunmehr da. Man müsse sich jetzt nicht überschlagen, warnte die Nürnbergerin, nach ihrer Erfahrung werden weitgereiste Gäste auch neues Material mitbringen: „Da kommt noch was, das kann ich Ihnen fest versprechen.“ Auch sie selbst wird wiederkommen – mit neuen Einsichten wohl – bis diese Gegend dergestalt noch einmal „kolonisiert“worden ist.
Gerold Paul
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