Landeshauptstadt: „Lange habe ich mich gewehrt.“
Pfarrer Wolfgang Hering wird morgen mit einem Gottesdienst in der Nikolaikirche verabschiedet
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Pfarrer Wolfgang Hering wird morgen mit einem Gottesdienst in der Nikolaikirche verabschiedet Von Ulrike Strube Gelassen sitzt Wolfgang Hering im grau-beigen Sessel seines Arbeitszimmers in Potsdam-West. Sein Gesicht strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Der gebürtige Gubener ist seit neununddreißig Jahren Pfarrer und davon dreißig in Sankt Nikolai. Morgen wird er mit einem Festgottesdienst in der Kirche am Alten Markt in den Ruhestand verabschiedet. Im August 1973 wurde Wolfgang Hering in sein Amt eingeführt. Damals, so erinnert er sich, kamen zweiundvierzig Gläubige in den großen Nikolaisaal in die Wilhelm-Staab-Straße. In einen Raum, der für 600 Menschen gedacht war. „Sie verliefen sich förmlich“, bemerkt Hering. Im Anschluss traf der junge Theologe einen Mann, der mit seiner Familie im Vorderhaus des Gebäudes wohnte. Dieser meinte zum Neupotsdamer: „Beim jungen Pfarrer kommen auch nicht mehr als beim alten.“ Hering lacht schallend über das Vergangene. Mit seiner Gemeinde sei er dann später in den kleinen Nikolaisaal umgezogen. Nicht nur die große Leere machte die sonntägliche Gemeinschaft beschwerlich. „Von den Wänden blätterte die Farbe und die Heizung funktionierte nicht.“ In den 70er Jahre erlebte er etwas für ihn ganz Neues, Unbeschreibliches: die Erweckung in der Jugend. „Ohne irgendein Zutun.“ Die Gläubigen kamen und wollten beichten. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich selbst nie gebeichtet.“ Es entstanden Gebetskreise, durchaus mit Zungenreden. „Ich entdeckte neue Formen des christlichen Daseins.“ Mit der so genannten Jesus-Jugend füllte sich das Gotteshaus wieder. Die Gemeinde zog zurück in den großen Nikolaisaal. Und der Pfarrer von St. Nikolai führte regelmäßige Beichtgottesdienste ein. „Eigentlich war das für die christliche Tradition nichts Neues, sie wurden nur selten oder gar nicht praktiziert.“ Seine Amtszeit war stark geprägt von der Wiederherstellung der Nikolaikirche am Alten Markt. Wieder fällt ihm eine Anekdote ein. Um an Material und gute Handwerker zu kommen, musste eine gewisse Kreativität an den Tag gelegt werden. Also nahm der Pfarrer manchmal einen Forum-Scheck, eingetauschte Westmark, mit denen im Intershop eingekauft werden konnte, auf die Baustelle mit. Sah ein Handwerker diesen „wertvollen“ Zettel, fragte er zuvorkommend: „Forum handelt es sich“. Natürlich konnten die Bauereien nicht nur auf diese Weise bestritten werden. Gelder und Unterstützung kamen von vielen Seiten. „Leider ließ die Qualität zu wünschen übrig“, bedauert Hering. Damals hoffte die Gemeinde in absehbarer Zeit keine größeren Baumaßnahmen tätigen zu müssen. Doch nicht nur die schlechte Qualität machten diese Hoffnung zunichte. Derzeit ist die Gemeinde wieder auf der Suche nach Unterstützung, denn die vier Engel und die Fassade des nach Plänen Friedrich Schinkels erbauten Hauses, bedürfen dringender Zuwendung. Dreißig Jahre Pfarrer in Potsdam. Nie habe es ihn weggezogen, meint Wolfgang Hering. „Meine Natur ist konservativ.“ Veränderungen seien nicht seins. Lieber bewahre er sich das, was er hat. Damit seien Werte und Lebensansichten gemeint. Doch die vielen Phasen von Erneuerung in der Gemeindestruktur seien ihm immer wichtig gewesen und er habe sie gern mitgetragen. „Es gab viele Veränderungen, allein durch den Zu- und Wegzug von Gemeindegliedern“, überlegt er. Suchten die Menschen zu DDR-Zeiten außerhalb der Innenstadt Wohnungen mit Innenklo. Wanderte so mancher nach der Wende gen Westen. „Viele zugezogene Gläubige fanden den Weg zu uns.“ Dann die Sparmaßnahmen. Auch vor einem Gotteshaus und seiner Gemeinde machen bestimmte Realitäten keinen Halt. In Folge dessen mussten vor acht Jahren Stellen abgebaut werden. Plötzlich galt es das Ehrenamt zu organisieren, beispielsweise die Reinigung, das sonntägliche Orgelspiel oder auch die Tempelwache. „Damals war ich einfach Manager, der die Menschen mobilisierte“. Mittlerweile gibt es einen festen Kreis von 70 Gläubigen, ohne den Chor, der sich die anfallenden Arbeiten teilt. Nun kommt etwas Neues. Der 64-jährige Theologe scheint zu frieden. Viele Pläne gibt es. Ab Oktober möchte er an seinen „paar Brocken“ Englisch arbeiten. Gottes Wege seien vielfältig,. Hering schaut zurück, erinnert sich an seine Gubener Schulzeit, seine Konfirmation und den Weg in die Junge Gemeinde. Hier habe er seine Berufung erfahren. „Lange habe ich mich gewehrt.“ Doch als im Abitur die Frage stand, was er studieren möchte, war es nicht mehr Chemie, sondern Theologie. Die Eltern waren erstaunt. Der Vater war Jahre zuvor aus der Kirche ausgetreten und die Mutter suchte eher zu Feiertagen die Predigt. Dann sein Zeugnis. Er zeigt die attestierten „genügenden“ Leistungen im Gesamtverhalten und Betragen und liest in der Beurteilung: „keine positive Einstellung zum Arbeiter- und Bauernstaat“. Der Besuch einer Universität war damit unmöglich. Theologe wurde der junge Christ dennoch. An der kirchlichen Ausbildungsstätte Nauenburg begann er 1958 seine Studien der Alten Sprachen, Kirchengeschichte, dem Alten und Neuen Testament. Drei Jahre später wechselte er nach Berlin. Den Mauerbau erlebte er hautnah mit. „Wir standen am Brandenburger Tor, es war ein unfassbarer Moment.“ Er blieb im Osten und studierte bis 1964. Nach seinem Examen übernahm er in der Nähe von Angermünde seine erste Pfarrei. Neun Jahre später folgte der Ruf nach Potsdam. „Alles hat seine Zeit.“ Mit Gelassenheit schaut Wolfgang Hering auf das Kommende. Im September führt er eine Reisegruppe auf Wegen des Apostel Paulus durch Griechenland. Neben dem Englischkurs möchte er zum Thema des Priestertums in der evangelischen Kirche arbeiten und vielleicht für ein dreiviertel Jahr eine Pfarrstelle im Ausland annehmen. Dann hat er ja auch noch seine große Familie. „Allein mit den Besuchen meiner vier Kinder und bald zwölf Enkel habe ich viel Freude und Beschäftigung“, erzählt er begeistert. Außerdem bleibe man als Theologe im priesterlichen Dienst, gebe lediglich die Aufgabe als „Hirte“ ab. Ein Lächeln zieht über sein Gesicht. Am Sonntag in einer Woche wird sich die Theologin Susanne Weichenhan mit einem Gottesdienst in der Nikolaikirche vorstellen. Möglicherweise wird sie Herings Nachfolgerin. Doch zuvor haben die Gläubigen 14 Tage Zeit darüber zu befinden. Das Gott ihm vor vielen Jahren seinen Weg gewiesen hat, dafür ist Wolfgang Hering dankbar und dafür, „das Gott mein Geschick führte“. Der Abschiedsgottesdienst für Pfarrer Wolfgang Hering findet morgen um 10 Uhr in der Nikolai-Kirche am Alten Markt statt.
Ulrike Strube
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