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Sport: Laufen mit Herz und Verstand

Gesundheitsfragebögen sollen verbindlicher Teil für Anmeldungen bei Laufveranstaltungen sein

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Beetzsee, Sanssouci, Ku“damm – auch die hiesigen Kulissen für die Frühjahrsklassiker der Läufergilde sind bekannt. Zum Viertelmarathon durch Potsdam, zum Halbmarathon in Berlin oder zum Schlössermarathon Anfang Juni werden Tausende Starter unterstreichen, dass der Laufvirus nach wie vor kursiert und der Ansteckungsgrad hoch ist. Davon halten auch die unschönen Schlagzeilen nicht ab, die den Laufsport in den vergangenen Jahren begleiteten: „Tragödie in New York“ oder „Tod beim Marathon“ sind Überschriften, die im Vorjahr Laufveranstaltungen überschatteten.

Die tragischen Nachrichten sind so alt wie die Legende vom Marathon selbst. Auch der laufende Bote, der nach dem Sieg der Athener bei der Schlacht gegen die Perser im Jahre 490 v. Chr. vom Schlachtfeld in Marathon bis nach Athen gelaufen sein soll, brach nach Verkündung der Siegesbotschaft zusammen und starb. Doch heute den Tod beim Marathon allein mit Erschöpfung zu erklären, wäre zu einfach. Tatsächlich rätselt die Wissenschaft über die Ursachen des Läufertods. Bei deutschen Straßenläufen starben im vergangenen Jahr mindestens neun Läufer. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn bislang sind Veranstalter nicht verpflichtet, Todesfälle dem Deutschen Leichtathletikverband zu melden. Eine verlässliche Statistik fehlt.

Ebenso mangelt es an fundierten Erkenntnissen. „Die wenigsten Todesfälle werden obduziert. Dazu kommt, dass neue Ursachen solcher Zwischenfälle, meist ,elektrische'' Störungen des Herzens, nur durch aufwendige molekularbiologische oder genetische Untersuchungen festgestellt werden können“, sagt Professor Herbert Löllgen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP).

Die letztjährigen Todesfälle bei deutschen Straßenläufen und die Tragödie des amerikanischen Marathonäufers Ryan Shay bei den US-Olympia-Trials im November haben das Bewusstsein für das Phänomen des plötzlichen Läufertods geschärft und Fragen über die Notwendigkeit ärztlicher Vorsorgeuntersuchungen neu entfacht. Herbert Löllgen und weitere führende deutschen Sportmediziner diskutierten im Sommer 2007 bei einer Experten-Konferenz Möglichkeiten, wie man Freizeitläufer auf potentielle Risiken beim Laufen aufmerksam machen kann. Nach Sichtung internationaler Daten und Studien verabschiedeten die Konferenzteilnehmer eine Empfehlung an Laufveranstalter und Läufer: Seit diesem Jahr soll bei Online-Anmeldungen mit Hilfe eines international anerkannten Fragebogens eine qualifizierte Abschätzung von Gesundheitsrisiken durchgeführt und erreicht werden. Dieser Fragebogen soll verbindlicher Teil der Anmeldung für ein Laufevent sein. „Eine sorgfältige Befragung gehört unbedingt dazu“, befindet Löllgen. „Allerdings“, so schränkt er ein, „wird es eine 100-prozentige Sicherheit nicht geben.“

Der Veranstalter des Berlin-Marathons als eines der weltweit größten Laufevents macht die persönliche Visite ab 2008 zur Teilnahmebedingung: Erst wenn Läufer den Fragebogen ausgefüllt haben, können sie sich zum Marathon oder anderen Läufen anmelden. Ja nach Ergebnis der Befragung wird zudem eine ärztliche Konsultation empfohlen. „Vorsorgeuntersuchungen können einen Trainingsmangel nachweisen und potentiell bedrohliche Erkrankungen aufzeigen“, so Löllgens Einschätzung.

Die Bedeutung medizinischer Checkups wächst mit dem Laufboom. Der Marathon hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Massenereignis entwickelt. Die Teilnehmerfelder sind stetig gewachsen, Veranstalter konkurrieren nicht nur um die schnellsten Läufer, sondern auch um die größten Teilnehmerfelder. Tausende Starter muten sich zu, 42 Kilometer am Stück zu laufen. In einer Welt der Extreme gilt der Marathon scheinbar als Herausforderung, die – im Zweifel irgendwie – beherrschbar scheint. Früher galt der Marathonlauf als ambitionierter Sport, heute ist es ein Großereignis, eine Party, auf der man mindestens einmal dabei gewesen sein muss. Wilfried Kindermann, Professor am Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität Saarland, hält das Risiko, beim Marathon zu sterben, dann für besonders hoch, wenn drei Faktoren zusammen kommen: unzureichendes Training, falscher Ehrgeiz und mangelnder Gesundheitszustand. Aber auch bei guter Leistungsfähigkeit kann eine Herz-Kreislauferkrankung zum plötzlichen Herztod führen. Daher hält auch Kindermann für jeden Marathonläufer eine qualifizierte ärztliche Untersuchung für notwendig.

Die Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention hat im vergangenen Jahr eine Leitlinie für sportärztliche Vorsorgeuntersuchung im Sinne einer Gesundheitsuntersuchung erarbeitet. Nach deren Vorgaben sollen latente oder bereits vorhandene Krankheiten, die eine Gefährdung darstellen können, erkannt werden. „Die Vorsorgeuntersuchung soll gesundheitliche Risiken mindern oder vermeiden helfen und eine optimale Ausübung von Sport und körperlicher Aktivität für jeden Sporttreibenden ermöglichen“, heißt es in der Leitlinie. Kardiovaskuläre Risikofaktoren sollen dabei durch einen Anamnesebogen teilweise erfasst werden. Eine weitere Risikoabschätzung ist über Risiko-Score-Bögen, Ruhe-EKG und Belastungsuntersuchungen möglich.

Zwar tun sich die Experten schwer, letztlich genaue Ursachen des plötzlichen Läufertodes zu definieren, über die Risiken sind sie sich indes einig. „Vorzeitige Todesfälle in der nahen Verwandtschaft, Herzinfarkte in der Familie, bei sich selber frühere kurz dauernde Bewusstlosigkeit ohne Ursachen, mehr als ein klassischer Risikofaktor wie früheres Rauchen, erhöhtes Cholesterin oder hoher Blutdruck“, zählt Löllgen als Risikofaktoren auf.

Doch es gibt keinen Grund zur Panik: Sport ist nicht Mord, wie der Volksmund mitunter suggeriert. Medizinische Fachgesellschaften empfehlen ausdrücklich regelmäßige körperliche Aktivität als wichtigen Beitrag zur Prävention von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, von Stoffwechselproblemen, orthopädischen Erkrankungen, Tumorleiden oder Depressionen. Grundsätzlich gilt nach wie vor: Laufen ist gesund! Peter Könnicke

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