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Landeshauptstadt: „Lauft, lauft und vergesst, wer ihr seid!“

Schüler arbeiten in Kooperation mit der Kammerakademie an ihrer eigenen Friedrich-Rezeption

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Der Raum unterm Dach ist aufgeheizt, die Luft stickig, es ist Mittagszeit. Einmal in der Woche kommen Sabine Chwalisz von der Fabrik und der freie Choreograph David Brandstätter zurzeit in die Helmholtz-Schule zum Tanztraining. Zwei Schulstunden sind wenig Zeit, um 30 Achtklässlern das Unterrichtsgeschehen und sich selbst zu vergessen – und auf ein Rollenspiel einzulassen. Aber die Schüler sind da, und nach einer halben Stunde Improvisationsübungen lässt das Kichern nach, das Tuscheln, der heimliche Schulterblick, was der andere wohl denkt, ob jemand zuschaut.

Das Tanztraining ist ein Modul von vielen, die zum Projekt „Fritz & Friends“ gehören, eine Kooperation unter der Dachmarke Kammerakademie, die mit der Arbeit an Schulen bereits langjährige Erfahrung hat. Neben dem Helmholtz-Gymnasium sind die Drewitzer Priesterweg-Grundschule und die Comenius-Schule mit dabei sowie eine Gruppe Heimkinder aus Buckow und Ludwigsfelde, ebenso Schüler der Städtischen Musikschule Potsdam. Wie kaum anders zu erwarten in diesem Jahr geht es natürlich um den Alten Fritz. Am Ende der kreativen und intensiven Auseinandersetzung mit dem Monarchen werde eine multimediale Konzertaufführung im Nikolaisaal gezeigt, sagt Adelheid Schloemann von der Kammerakademie. Leider sei trotz des vielen Aufwandes, der in das Projekt fließt, bisher nur ein Termin geplant – im November.

„Das macht aber nichts“, sagt Sabine Vogel, Flötistin, die seit Wochen mit den Kindern der Priesterweg-Grundschule arbeitet, in einem Pressegespräch. „Der Weg ist das Ziel“, meint sie über den alternativen Musikunterricht mit den Fünftklässlern, die Friedrichs Leidenschaft für das Flötenspiel unter die Lupe genommen haben. Dafür besuchten sie auch die Sonderausstellung Friederisiko im Neuen Palais. „Manche Kinder waren das erste Mal in ihrem Leben in einem Museum“, nahm Vogel bestürzt zur Kenntnis, „die waren total begeistert“. Es gelang ihr, diese Begeisterung in Kreativität zu verwandeln. Aus dem Baumarkt wurden Plastikrohre und simple Fahrradluftpumpen besorgt und daraus Pan- und Querflöten gebastelt. Seitdem seien die Kinder ständig am Üben, jetzt entstehe ein Flötenkonzert, wie es wohl noch keines gegeben hat. Sabine Vogel wird eine Sonate von Friedrich II. spielen, die Kinder in das Stück einstimmen. „Wie es sich genau entwickelt, werden wir sehen, aber da sind ein paar tolle Talente dabei“, sagt die Musikerin.

Musik, Tanz und wissenschaftliche Aspekte wie die Astronomie werden eingebettet in eine Rahmenhandlung, die dem bekannten Gemälde „Tafelrunde in Sanssouci“ von Adolph Menzel entspringt – und das im Wortsinne. So dient eine Filmprojektion des Bildes als Kulisse, die Charaktere des Stückes entsteigen dieser oder tauchen in sie hinein. Doch es soll nicht nur höfisches Glanz und Gloria geben, sagt Chwalisz, die Schüler beschäftigten sich mit dem einfachen Volk, Dienern, Bauern, Soldaten, „die man eben nicht sieht im Bild“, sagt sie.

Die Schüler vom Tanzkurs sollen jetzt bei der Improvisation Charaktere aus der Friedrich-Zeit entwickeln. „Stellt euch vor, ihr habt nur ein Bein, einen Buckel oder keine Zähne mehr“, sagt Brandstätter. „Wie bewegt ihr euch? Versucht, ein Gefühl für eure Figur zu entwickeln, erweckt sie zum Leben, lauft, lauft und vergesst, wer ihr seid“, ruft der Choreograf in den Raum.

Die Kostüme für das Stück entstehen in der Comenius-Schule, Perücken, Reifröcke, Galoschen. Eine kleine Besetzung der Kammerakademie wird Stücke zeitgenössischer Komponisten spielen, und Voltaire höchstpersönlich, für dessen Besetzung man den bekannten Moderator Daniel Finkernagel gewinnen konnte, führt durch den Abend. Steffi Pyanoe

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