Landeshauptstadt: Laut und gegen Rechts: Das „Archiv“ feiert
Nachts scheint die Fassade der Leipziger Straße 60 fast schwarz. Wenig deutet auf Leben hin.
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Nachts scheint die Fassade der Leipziger Straße 60 fast schwarz. Wenig deutet auf Leben hin. Nur ein kleiner Weg leitet in den Hinterhof des „Archivs“, die Tür hinein wirkt gleichfalls nicht sonderlich einladend. Wer Potsdams „unabhängigen und unkommerziellen Kulturpalast“ – so die Selbstbeschreibung auf der Internetseite – besuchen will, sollte ungefähr wissen, wo er suchen muss. Doch in dem Haus, das gleichzeitig als Raum für mehrere Wohngemeinschaften dient, proben Bands und finden Diskos der alternativen Jugendszenen statt. Wöchentlich gibt es ein bis zwei Konzerte von Bands aus dem extremen Punk-, Rock- und Metal-Sektor – seit Jahren zu Eintrittspreisen im einstelligen Euro-Bereich. Ab heute bis Montag feiert das „Archiv“ seinen 12. Geburtstag.
Einer, der die Entwicklung des selbstverwalteten Kulturhauses über Jahre verfolgt hat, ist Lutz Boede von der Fraktion Die Andere: „Das Archiv ist der beste Beweis dafür, dass sich in Potsdam die alternative Kultur nicht kaputt machen lässt.“ Er spielt dabei auf 1997 an, als das Hausprojekt nach Krawallen und anschließender Räumung fast am Ende war. Die Proteste gegen die Schließung seien schließlich so groß gewesen, dass die Stadtverordneten per Beschluss das Haus zurückgaben, so die Erinnerung von Lutz Boede an diese Monate. Die Wogen haben sich seitdem geglättet – zurzeit steht das „Archiv“ über seinen Verein mit der Stadt in einem Nutzungsverhältnis. Innen zu finden sind neben den Proberäumen ein Atelier und ein Turnraum. „Das Haus hat sich inzwischen als einer der größter Anbieter im Jugendbereich etabliert“, sagt Boede. Und betont, dass dies ohne Förderung durch Stadt oder Land geschehen sei.
Doch auch dieses Jahr zeigte, dass im „Archiv“ trotz des geringen Budgets nicht nur billige Bands spielen. Anfang Juli traten beispielsweise „Disfear“ aus Schweden auf, eine sehr bekannte Band in der Szene für extremen Rock. An solchen Tagen stehen dann vor der kleinen Bühne im Archiv rund 100 bis 200 Punks, Langhaarige und ganz normale Jugendliche – biertrinkend, wild tanzend, feiernd bei ohrenbetäubender Lautstärke. Ruhiger ist es im angrenzenden Café, an dessen Eingang ein zum Kneipentisch umfunktioniertes Cabriolet steht. Die Getränke-Preise für solche Abende sind wesentlich billiger als in anderen Bars oder Konzertclubs – jedoch wirkt auch das Ambiente heruntergekommener. Werbung existiert maximal auf kopierten Handzetteln. Viel Geld lässt sich so nicht verdienen.
Wirklich wichtig ist den Veranstaltern und Bewohnern, dass egal wer das Haus nutzen möchte, nicht einmal die Nähe zu rechtsextremen Weltbildern vorhanden sein darf. „Das Gesamtprojekt soll Menschen durch Kultur politisieren und eine breite Basis an Akzeptanz schaffen, der rechten Dominanz in dieser Stadt entgegenzuwirken“, heißt es in einem Konzeptpapier des „Archiv“-Vereins. Durch Mitentscheidung und Mitwirkung sollen junge Menschen animiert werden zu verstehen, dass Werte wie Freiheit und Freizeit hart erkämpft werden mussten und nicht als selbstverständlich gelten.
In diesem Sinne ist auch die dreitägige Geburtstagsfeier des „Archivs“ angelegt: Viel Punk, Stoner Rock und Reggae, drei Tage lang – und heute dazu eine Feuershow auf dem Hof. Die dunkle Archivfassade wird leuchten. Henri Kramer
www.archiv-potsdam.de
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