zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Lautes Spiel

Bürgerinitiative fürchtet Lärm der Fußballschule – und zweifelt an Finanzierung: 15 000 Euro Folgekosten pro Jahr

Stand:

Bürgerinitiative fürchtet Lärm der Fußballschule – und zweifelt an Finanzierung: 15 000 Euro Folgekosten pro Jahr Von Sabine Schicketanz Neu Fahrland. Wenn Barbara Linke ihren Garten verlässt und 65 große Schritte macht, steht sie direkt vor dem Fußballtor. Das Tor ist zwar noch gar nicht da, doch genau dort soll es hin. Was nicht nur Barbara Linke nicht gefällt. Mehr als zwanzig Anwohner des Sonnenwegs in Neu Fahrland haben sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, die gegen die Fußballschule protestiert, die Ex-Profikicker René Tretschok auf der Birnenplantage am Weißen See errichten will. „Natürlich habe ich ein privates Interesse als Anwohnerin, hier weiter in Ruhe zu wohnen“, sagt Linke. Andererseits sei es auch ein „Bürgerinteresse“, sich gegen die Fußballschule auszusprechen – sie ausgerechnet auf der freien Wiese hinter dem Wohngebiet anzusiedeln, sei „horrender Blödsinn“. Ihr Nachbar Gerhard Kelch ist Rentner und extra wegen der ruhigen Wohnlage in den Sonnenweg gezogen, wie er betont. „Ich habe mich hier nicht angesiedelt mit dem Wissen, dass hinter dem Haus Fußballplätze sind“, sagt Kelch. In Babelsberg beispielsweise sei das eine andere Sache: „Wer da hinzieht, weiß, dass ein Fußballstadion in der Nähe ist. Der braucht sich nicht zu beschweren.“ Neu Fahrland aber sei eben ein Dorf, meint Linke. Städtischen Lärm kenne man hier nicht – und Fußballlärm wolle man nicht. Sechs Hektar, zwei Komplexe Dass die Kicker trotzdem kommen, scheint nahezu sicher. Jüngst haben die Potsdamer Stadtverordneten die Prioritätenliste für die so genannte Bauleitplanung abgesegnet. Das Fußball- und Freizeitzentrum Neu Fahrland hat dabei die Priorität 1 bekommen – das heißt, der Bebauungsplan wird so schnell wie möglich von der Verwaltung erarbeitet. Die Kosten dafür, rund 21 500 Euro, finden sich auch im Haushaltsentwurf. Auf dem sechs Hektar großen Gelände sollen zwei Komplexe entstehen: In Eigenregie will der Ortsteil Neu Fahrland – und damit die Stadt Potsdam – ein Freizeitzentrum bauen. Rund zwei Millionen Euro sollen laut Ortsbürgermeister Hartmut Reiter von der Unabhängigen Kommunalen Wählergemeinschaft Neu Fahrland (UKW) die Zwei-Feld-Mehrzweckhalle mit integrierter Sauna, Sportplatz, Badewiese, Festplatz und Beachvolleyball-Feld kosten. Bezahlen könne Neu Fahrland das mit den Zuweisungen aus Potsdam für Investitionen in drei bis vier Jahren, allerdings werde dann für das Freizeitzentrum „die Masse draufgehen“. Der Modernisierung der Feuerwehrwache, die rund 50 000 Euro kosten soll, räumt Reiter Priorität vor dem Freizeitzentrum ein. Keine Fördermittel für Tretschok René Tretschok, seit einigen Jahren selbst Neu-Fahrländer, möchte für seine Fußballschule zudem ein Internat mit 40 Plätzen und zwei Fußballfelder bauen. Das Teilgrundstück dafür soll er über eine Erbbaupacht bekommen. Zu den genauen Kosten möchte Tretschok sich nicht äußern. Klar sei jedoch, dass er für sein Projekt nicht wie zunächst erwartet mit Fördermitteln rechnen kann. „Deshalb müssen wir einen Schritt langsamer gehen“, sagt er. Vom Ziel, zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 fertig zu sein, habe man sich verabschiedet – um einen Schnellschuss zu vermeiden. „Ich versuche, einen Investor zu finden“, so Tretschok. Die Fußballschule müsse „auf sicheren wirtschaftlichen Füßen“ stehen. Im Gespräch als Partner war bereits vor einiger Zeit der Sportartikelhersteller Puma, der schon jetzt den Tretschoks Fußballzentrum e.V. unterstützt. Mit dem Verein ist der Ex-Profi, der jetzt bei den Hertha-Amateuren spielt, seit 1996 unterwegs und veranstaltet Fußball-Trainingscamps. „Ich habe keinen festen Standort und will mich gerne in Potsdam ansiedeln.“ Auch für Kinder und Jugendliche aus den USA oder Asien besitze die Stadt aufgrund ihrer Historie Anziehungskraft, meint Tretschok. Warum aber muss die Fußballschule ausgerechnet auf der Birnenplantage gebaut werden? Das fragen sich Barbara Linke und die Bürgerinitiative. Ungewöhnlich große Eile wollen sie bei Neu-Fahrländer Gemeindevertretern beobachtet haben, ihr Votum für die Fußballschule unbedingt noch vor der Eingemeindung nach Potsdam abzugeben. „Jetzt hätte man über die Gemeindegrenzen hinaus schauen und beispielsweise im Bornstedter Feld einen Standort finden können“, meint Linke. Dort gebe es eine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, es sei kein zusätzlicher Lärmschutz notwendig und der Volkspark werde aufgewertet. Zu neuen Standort-Überlegungen sehen aber weder Tretschok noch Ortsbürgermeister Hartmut Reiter einen Anlass. Die Gemeinde sei auf ihn zugekommen und habe die Birnenplantage vorgeschlagen, sagt Tretschok. „Die Birnenplantage ist seit der Wende als Sportfläche im Flächennutzungsplan“, so Reiter. Und im Übrigen wehre sich die Bürgerinitiative offensichtlich nicht gegen das kommunale Freizeitzentrum. „Aber wir wollen hier Synergieeffekte haben.“ So könnten die lokalen Sportvereine die Plätze der Fußballschule nutzen und die jugendlichen Kicker wiederum in der Mehrzweckhalle trainieren – „kostenneutral“. Stichwort Kosten: Auch hier hat die Bürgerinitiative Sonnenweg ihre Zweifel. Zu den Investitionen aber auch zu deren Folgekosten werde nicht informiert, bemängelt Barbara Linke. Die Auskünfte machen tatsächlich einen widersprüchlichen Eindruck: Während René Tretschok die Variante eines so genannten „Public Privat Partnership“ – gemeint ist eine gemeinsame Finanzierung von Investor und Stadt – nicht ausschließen will, spricht Ortsbürgermeister Reiter davon, dass „jeder seine Fläche allein entwickelt“. Die Kommune könne mit Fördergeldern aus dem „Goldenen Plan Ost“ rechnen, so Reiter. Auch darin, dass die Stadt die 21 500 Euro für den Bebauungsplan allein bezahlt, sieht die Bürgerinitiative Ungereimtheiten. „Denn für das Freizeitzentrum der Kommune braucht man gar keinen Bebauungsplan“, meint Barbara Linke. Das sei zwar richtig, entgegnet der Ortsbürgermeister, aber ohne B-Plan seien die Festlegungen zu eng. Dass Investor Tretschok nicht für den B-Plan zahlen muss, sei normal, sagt Reiter. „Dafür bekommt er später von uns ein veredeltes Grundstück, da kann die Stadt ganz andere Pachtsätze nehmen.“ Folgekosten „minimal“? Die Folgekosten für Unterhalt und Betrieb des kommunalen Freizeitzentrums seien „minimal“ und sollen über die Sportvereine aufgefangen werden, so der Ortsbürgermeister. Vorstellbar sei eine Betreibergesellschaft mit dem Neu-Fahrländer Verein KSC 2000 e.V. Gerechnet werden müsse mit rund 15 000 Euro Betriebskosten pro Jahr, habe eine Nachfrage beim vergleichbaren Freizeitzentrum in Mansfeld ergeben, sagte Reiter. In der Bauleitplanung, gerade von den Stadtverordneten abgesegnet, wird dagegen vor „hohen Folgekosten für die Stadt“ gewarnt. Dieses Kreuzchen auf der „Negativliste“ wird aber durch eines bei „großes öffentliches Interesse“ auf der „Positivliste“ wieder ausgeglichen – zumindest aus Sicht der Verwaltung. Ausschlaggebend könnte dafür sein, dass der Bedarf an Sportstätten nach einer Studie der Universität Potsdam auf jeden Fall da sei, wie Hartmut Reiter weiß. „Und wir sind uns im Klaren, dass wir nicht nur egoistisch an den eigenen Ortsteil denken können.“ Mehrheitlich würden sicher Potsdamer Vereine die Einrichtung nutzen. An diese appelliert auch René Tretschok. Selbst die erste Mannschaft des SV Babelsberg 03 habe „nicht so günstige“ Trainingsbedingungen. Eine Kooperation sei da nahe liegend. Lärmgutachten positiv Kooperativ will Tretschok auch mit der Bürgerinitiative Sonnenweg umgehen. „Es ist verständlich, dass die Anwohner sich Sorgen machen.“ Ein erstes Lärmschutzgutachten habe jedoch gezeigt: „Es wird keine Beeinträchtigungen geben. Wäre das Gutachten negativ gewesen, hätten wir gesagt: Das war“s.“ Man werde die zeitlichen „Ruhezonen“ einhalten, außerdem ist vor den Häusern des Sonnenwegs ein Schallschutzwall geplant. Ortsbürgermeister Reiter meint, die Anwohner müssten damit rechnen, dass es vom Freizeitzentrum mehr Lärm geben werde als von der Fußballschule. „Besonders am Wochenende, wenn die Leute zum Baden kommen und unsere eigene Jugendmannschaft ein Fußballspiel hat.“ Eine andere Sorge der Bürgerinitiative aber will Reiter ausräumen: „Flutlicht wollen wir nicht. Das wird es nicht geben.“ Barbara Linke beruhigt das alles wenig. Die 65 Meter von ihrem Garten zum Tor blieben eben, was sie sind: 65 Meter. Die Bürgerinitiative Sonnenweg trifft sich am Dienstag, dem 6. April, ab 19 Uhr in der Gaststätte „Die Tenne“ am Rehberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })