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Landeshauptstadt: Leben in der Warteschleife

Aus dem Alltag eines Asylbewerbers in Potsdam: Arbeitsverbot, Reiseverbot, ein gewalttätiger Angriff

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Stolz zeigt der Mann mit den kräftigen Oberarmen sein Zeugnis zur bestandenen Weiterbildung. Fünf Monate lang konnte er zwischen Mai und Oktober 2006 hoffen, endlich wieder arbeiten zu dürfen. Damals ließ sich der studierte Biochemiker und Physiotherapeut, der neben seiner afrikanischen Muttersprache auch das Deutsche, Englische und Französische perfekt beherrscht, zum „interkulturellen Gesundheitsmediator“ fortbilden – unterstützt vom Landesgesundheitsamt Brandenburg.

Die versprochene Stelle in Cottbus konnte Blaise Kamtchoum, der im Potsdamer Asylbewerberheim lebt, dann trotzdem nicht antreten. Der 32-Jährige, der in seiner Heimat Kamerun einen Lehrauftrag an der Universität hatte und in einer Klinik für Tropenmedizin arbeitete, darf in Deutschland nicht einmal Teller abspülen. Dabei habe er Chancen auf viele Jobs gehabt – von einer Stelle als hochqualifizierter Bio-Energie-Berater über einen Job in einem Restaurant am Luisenplatz bis hin zur Reinigungskraft in einem Hotel. Er würde jede Arbeit annehmen, sagt Kamtchoum. Ein Unternehmer, der ihn einstellen wollte, beauftragte einen Anwalt, den Fall zu prüfen. Die Antwort der Stadt im November vergangenen Jahres: „Ablehnung der Arbeitsgenehmigung wegen fehlenden Reisedokuments“. Was das Behördenschreiben aber verschweigt, steht auf der Rückseite von Kamtchoums Aufenthaltsdokument: Sobald er einen Reisepass aus seinem Heimatland erhält, wird die „Duldung“ unwirksam und er wird abgeschoben. Das wäre für ihn das Todesurteil, sagt der Kameruner. Er zeigt auf einen Kugelschreiber aus Metall : „In meiner Heimat werden Menschen für weniger als dies hier ums Leben gebracht.“

Dass er auch in Deutschland nicht sicher vor Angriffen ist, musste der Afrikaner 2004 erfahren: Damals sei er von vier rechten Jugendlichen auf dem Johannes-Kepler-Platz zusammengeschlagen worden. Aus Angst habe er die Tat nicht angezeigt. Doch an die Sprüche der Neonazis erinnert er sich genau: „Das ist dafür, dass Du nicht arbeiten willst, Neger!“

Aber nicht nur das erschwert das Leben für Blaise Kamtchoum in Deutschland. Gerade musste ein Freund des Kameruners ins Krankenhaus eingeliefert werden. Kamtchoum würde ihn gerne dort besuchen. Doch die Sache hat einen Haken: Es ist Freitagabend und das Krankenhaus befindet sich in Berlin und nicht in Potsdam. In einer knappen Stunde könnte er mit der S-Bahn dort sein, doch Kamtschoum darf nach deutschem Recht die Landeshauptstadt nicht ohne „Urlaubsschein“ verlassen. Die Sondergenehmigung muss er drei Tage vor der Fahrt beantragen und dies geht nur dienstags, donnerstags oder am Freitagvormittag. Übertrete er ohne Erlaubnis die Stadtgrenzen, so drohe ihm eine Geldstrafe. 40 bis 100 Euro würden ihm dann von den 180 Euro, die ihm im Monat zur Verfügung stehen, abgezogen. Doch das deutsche Recht sieht daneben auch die Möglichkeit einer Verhaftung durch die Polizei vor, wird der Asylbewerber in einer fremden Stadt ohne „Urlaubsschein“ kontrolliert. Kamtchoum wird also warten, bis er den „Urlaubsschein“ hat. Damit dauert es eine volle Woche, bis er seinen Freund besuchen kann – „dann ist er hoffentlich schon wieder entlassen“, sagt der Kameruner, lächelt und schüttelt zugleich den Kopf.

Da hat er etwas mit Juristen gemeinsam: Denn den Sinn des Paragrafen 56 des Asylverfahrensgesetzes, der Asylsuchenden verbietet, sich außerhalb des Landkreises ihrer Ausländerbehörde aufzuhalten, bezweifeln selbst Rechtswissenschaftler. Der Vorsitzende Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Günter Renner, etwa meint, der Paragraf diene vor allem der „Abschreckung potentieller Asylbewerber“. Der offizielle Grund für die Regelung sei dagegen die „Beschleunigung des Asylverfahrens“, heißt es in einem Kommentar Renners.

Schnell geht es bei Kamtchoum aber trotzdem nicht. Seit drei Jahren wohnt er im „Sozialdorf“ am Lerchensteig, zuvor verbrachte er ein halbes Jahr in einem Heim in Eisenhüttenstadt. Viele seiner Mitbewohner warten schon fünf oder mehr Jahre auf eine endgültige Entscheidung über ihr Bleiberecht. Seine bosnische Nachbarin, Jasmina Redzic, wohnt sogar seit 16 Jahren in Asylbewerberheimen in Berlin und Potsdam. Alle vier Kinder der 37-Jährigen wurden dort geboren – der Älteste ist heute 13. Zusammen mit seinen zwei Brüdern und der Schwester besucht er die Karl-Foerster-Schule in der Kirschallee. Alle vier sprechen neben ihrer Muttersprache akzentfrei Deutsch, Bosnien kennen sie nur aus Erzählungen. Und doch könnten sie schon bald dorthin zurückgeschickt werden, denn noch immer sind sie nur geduldet.

Dass auch er noch zehn Jahre im Asylbewerberheim ohne Aussicht auf eine Arbeitserlaubnis verbringt – davor hat Blaise Kamtchoum am meisten Angst. „Schließlich will ich mein Leben nicht in einer endlosen Warteschleife verschwenden,“ sagt er. Und verschränkt die kräftigen Arme vor der Brust.

Frederik von Harbou

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