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Landeshauptstadt: Leben in Langsamkeit

Heute ist der 2. Welt-Down-Syndrom-Tag Potsdams Eltern wollen für das Anderssein ihrer Kinder mehr Normalität

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Es war eine Überraschung. Als Maximilian Lessing vor viereinhalb Jahren auf die Welt kam, diagnostizierte man bei dem Jungen das Down-Syndrom. „Wir hatten auf die Pränatal-Diagnostik verzichtet“, sagt Dorothee Lessing. „Wir wollten nehmen, was kommt“, spricht sie auch im Namen ihres Mannes Rolf. Dafür hätten manche kein Verständnis. Das kann sie in den Gesichtern ablesen, wenn sie mit ihrem Sohn unterwegs ist.

Am heutigen Welt-Down-Syndrom-Tag lautet deshalb ihre Forderung und auch die ihrer Mitstreiter an die Gesellschaft, die Vielfalt des Lebens mehr als bisher anzunehmen. Sie wollen Normalität für das Anderssein. Die Lessings gründeten vor ein paar Jahren die Potsdamer Gruppe „Leben mit Down-Syndrom“ – mit inzwischen 17 Familien aus der Landeshauptstadt, aber auch aus dem Land Brandenburg und Berlins Süden.

Gerade am Anfang sei man sehr verunsichert und brauche die Unterstützung von Eltern, die auch ein behindertes Kind haben, sagt Rolf Lessing. Schon in der Schwangerschaft könne man sich vorbereiten, sagt Sibylle Bernhard, deren Sohn Julian das Down-Syndrom hat. Sie habe das nicht getan, obwohl es bei den Ultraschalluntersuchungen bereits erste Hinweise auf die Behinderung des Fötus gab. „Ich wollte mich einfach nicht unnötig belasten“, erklärt die vierfache Mutter. Die ausgebildete Ärztin nahm auch deshalb von einer Fruchtwasseruntersuchung Abstand, um nicht vor der Entscheidung stehen zu müssen, einen Schwangerschaftsabbruch in der 20. Woche vorzunehmen.

Wenn die Lessings oder auch Sibylle Bernhard das Wort „normal“ sagen, kann man hören, wie sie es in Anführungszeichen setzen. Sie stellen die Bedeutung dieses Wortes seit der Geburt von Maximilian und Julian in Frage. Was aber macht das Anderssein der Menschen mit Trisomie 21 aus? Rolf Lessing gibt ein Beispiel: „Wenn ich Maximilian um etwas bitte, dauert es eine Weile, bis er reagiert.“ Es sei das Leben in Langsamkeit, das auch die Eltern und das ganze Umfeld gleichermaßen mit verändere. Man werde auf eine bewusstseins-erweiternde Geschwindigkeit gedrosselt, erklärt Maximilians Vater. „Mit einem behinderten Kind ist man dem Leben näher“, sagt seine Frau und meint damit das andere, nicht gesellschaftskonforme Verständnis von Leistung. Als ihr Sohn mit vier Jahren endlich das Laufen lernte, sei dies das Ergebnis eines langen Kampfes gewesen und eben keine selbstverständliche Entwicklungsstufe wie bei Kindern ohne Behinderung.

Mit ihrer sozialen Intelligenz seien diese Kinder ein echter Gewinn für eine Gruppe. Eine Erkenntnis, die offenbar noch nicht in vielen Köpfen sei, wie Dorothee Lessing schildert. Sie wollte ihren Jungen in einer regulären Kindertagesstätte wohnortnah in der Innenstadt anmelden. Die Erzieherinnen aber winkten ab. Sie fühlten sich überfordert, begründeten sie ihr Nein. Ein Armutszeugnis, das sich die Pädagogen ausgestellt hätten, findet Rolf Lessing. Maximilan besucht nun den Integrationskindergarten im Oberlinhaus. Kinder gingen ja ohnedies viel unkomplizierter mit den Entwicklungsverzögerungen eines behinderten Freundes um. Ein Mädchen aus Maximilians Kindergartengruppe hätte mal gesagt: Der kann zwar nicht sprechen und nicht laufen, aber dafür toll spielen. „Sie denken mit dem Herzen“, sagt Sibylle Bernhard. Etwas, dass den Erwachsenen auch gut täte.

Die Herzen öffnen könnte ein Lesezeichen, das jeder Buchkäufer am heutigen Mittwoch in der Stiftungs- sowie Script-Buchhandlung und im Literaturladen Wist geschenkt bekommt. Das Lesezeichen zeigt auf der Vorderseite einen Ausschnitt eines Bildes des Künstlers Christoph Eder, eines jungen Mannes mit Down-Syndrom, der in Anerkennung seines künstlerischen Schaffens heute das „Goldene Chromosom“ erhält. Auf der Rückseite steht eine kurze Info zum Künstler und zum Welt-Down-Syndrom-Tag.

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