
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Leben lernen
Der vor 20 Jahren gegründete Verein Bogen e.V. hilft psychisch Kranken bei der Rückkehr in den Alltag
Stand:
Es ist schon ein paar Jahre her, dass Stephan W. merkte, dass etwas nicht stimmte. „Ich hörte nebulöse Stimmen, mit denen ich mich unterhielt, die mir sagten, was ich zu machen habe. Die Kontrolle über mich kam mir dabei abhanden“, sagt der 41-jährige Jurist aus Potsdam. „Ich litt unter Antriebsmangel, der Tagesablauf war völlig unstrukturiert. Ich glaube, dass ich ziemlich wirr durch die Stadt gelaufen bin. Auch Selbsttötungsabsichten kamen mir in den Sinn.“ Es folgte die Einweisung in die Klinik, die Entlassung aus der Kanzlei, dann die Arbeitslosigkeit. Mittlerweile ist Stefan W. wieder so weit, dass er einen Neuanfang starten will. Geholfen hat ihm dabei auch der Potsdamer Verein Bogen e.V..
Vor 20 Jahren wurde er ins Leben gerufen und bietet Hilfe für chronisch psychisch Kranken an. Die meisten, die in die Tagesstätte kommen, haben einen Klinikaufenthalt hinter sich. Die Leiterinnen Martina Röwekamp und Evelyn Fleming wollen ihnen helfen, wieder in den Alltag zurückzukehren. „Unser Haus soll für sie ein Schutzraum sein, in dem der Alltagsstress reduziert ist. Wir versuchen, sie für den Alltag wieder fit zu machen. Hier werden praktische Tätigkeiten geübt, der Tag strukturiert, die Sozialkompetenz oder das Selbstbewusstsein gestärkt“, sagt Röwekamp. Betreut werden die Klienten von Ergo- und Kunsttherapeuten oder Sozialpädagogen.
Besonders freut sich das Team des Bogen-Vereins, wenn einer der Klienten wie Stefan W. wieder in das Berufsleben einsteigen kann. In einer zweijährigen Ausbildung bei den DRK-Behindertenwerkstätten will er den Beruf eines Druckers erlernen. „Ich freue mich darauf, denn endlich kann ich bald wieder mein eigenes Geld verdienen, brauche nicht mehr von Hartz IV zu leben“, sagt der Mann.
Zu den 20 Klienten, die derzeit vom Bogen e.V. betreut werden, gehört auch Christian H. Der heute 26-Jährige wurde mit eineinhalb Jahren von seinen jetzigen Eltern adoptiert und hatte schon als Kind und als Jugendlicher Schwierigkeiten. Auch mit seinen Eltern, die in Berlin hohe Ämter bekleiden, sei das Verhältnis angespannt, erzählt er. „Ich nahm regelmäßig Cannabis, merkte aber sehr spät, welche Auswirkung die Droge auf Konzentration und Gedächtnis haben kann. Mein Kopf war ziemlich getrennt von der Realität. Als ich in Berlin in einer geschlossenen Klinik war, machte ich meinen Hauptschulabschluss, in einem Berufsbildungswerk sollte ich mich zum Gärtner ausbilden lassen.“ Das Problem sei aber gewesen, dass er mit „Kranken und Knastologen“ zusammengesteckt worden sei, sagt Christian, der selbst unter einem Borderline-Syndrom leidet. „Ich kam mit den Leuten einfach nicht klar. Und da hatte ich keinen Bock mehr. Ich glaube, dass ich für viele eine Nervensäge bin.“ Im Bogen-Verein spüre er nach langer Zeit erstmals wieder warme und familiäre Beziehungen. Sein Wunsch sei, konfliktfreier mit seinen Mitmenschen umgehen zu können.
Auch die 62-jährige Helga H. und die 34 Jahre alte Mandy S. kommen regelmäßig. Die beiden sind fast unzertrennlich, auch nach dem Aufenthalt im Bogen e.V. unternehmen sie manches gemeinsam. Am liebsten würden sie shoppen gehen, aber dazu fehle ihnen oft das entsprechende Geld, sagt Helga H. Die Diagnose für beide Frauen hieß: Schizophrenie. Mandy S., die zunächst in einem Industriemontage-Betrieb arbeitete, ist nach einem Zusammenbruch und Klinikaufenthalten seit dreieinhalb Jahren im Bogen e.V. „Hier sind die Leute endlich sehr nett zu mir. Wir verstehen uns alle gut“, sagt sie. Am liebsten arbeite sie in der Keramik-Werkstatt, dort darf sie, was sie am besten kann: die Hände beschäftigen.
Das Lieblings-Reich von Helga H. ist hingegen die Küche. Schließlich habe sie Köchin gelernt und ihren Beruf jahrelang ausgeübt, sagt sie. „Anfang der 90-Jahre hat meine Hausärztin festgestellt, dass ich Schizophrenie habe. Ich war wie erschlagen und habe mich nicht nach Hause getraut, tagelang war ich irgendwo unterwegs. Meine Familie suchte mich überall. Als sie mich fanden, kam ich ins Krankenhaus. Ja, und nun werden es im Juli 16 Jahre, dass ich hier bin. Wenn irgendwie möglich, bin ich in der Küche anzutreffen.“ Die Frau mit der Schürze hat keine Zeit mehr für das Gespräch, denn gleich kommen die Klienten in den Speiseraum. „Heute gibt es Grüne-Bohnen-Eintopf. Und die schmecken doch, wenn ich sie koche, nicht wahr Mandy?“
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