
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Leben mit der Mauer
Dokumentarfilm von Potsdamer Waldorfschülern belegte den dritten Platz beim History-Award 2011
Stand:
155 Kilometer lang, 3,60 Meter hoch, gesichert durch Hundelaufanlagen, Lichtertrassen, Klingeldrähten und Wachtürmen – von 1961 bis 1989 war die Berliner Mauer das Symbol der deutschen Teilung und des Kalten Krieges. Mehr als 100 Menschen starben bei dem Versuch, sie zu überwinden. Ihr Bau jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Auch auf dem Potsdamer Stadtgebiet – zwischen Steinstücken und der Glienicker Brücke – prägte die Grenzanlage die Landschaft und den Alltag der Bewohner.
Schüler der Waldorfschule Potsdam begaben sich nun auf Spurensuche, um dieses Kapitel der Potsdamer Geschichte, das sie nur aus Erzählungen und aus dem Geschichtsunterricht kennen, näher zu beleuchten. Entstanden ist der Dokumentarfilm „Der steinerne Horizont – Wo in Potsdam die DDR endete“, der den einstigen Mauerverlauf nachzeichnet und Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. Diese erzählen in dem 56-minütigen Film ihre ganz persönlichen Geschichten vom Leben im Angesicht der Mauer. Sie berichten von geglückten und missglückten Fluchten, vom Versuch, sich einzurichten im SED-Staat oder der Unmöglichkeit dessen. Ehemalige politische Häftlinge kommen ebenso zu Wort wie Historiker oder einstige Grenzsoldaten, Menschen aus Ost und West sprechen über ihre Erfahrungen.
Die Idee zum Dokumentarfilm kam der Geschichtslehrerin Sibylla Hesse, als sie sich selbst die Frage stellte, wo genau denn eigentlich die Mauer verlief. „Wenn ich das schon nicht weiß, wie sollen es dann die Schüler wissen, die etliche Jahre nach dem Mauerfall auf die Welt gekommen sind“, so die Lehrerin, die seit acht Jahren in Potsdam lebt. Kurzerhand bot sie den Schülern der zehnten, elften und zwölften Klassenstufen an, sich in einem Filmprojekt intensiver mit dieser Frage zu befassen und damit nicht nur die deutsche, sondern auch die Potsdamer Geschichte während des Kalten Krieges zu erforschen.
16 Schüler entschieden sich für die Teilnahme an dem Projekt. In Gruppen von jeweils zwei bis drei Schülern widmeten sie sich verschiedenen Abschnitten des Grenzverlaufs, interviewten bei eisigem Winterwetter an Originalschauplätzen Zeitzeugen, recherchierten Fakten, schrieben Texte zum Film. Einige der Zeitzeugen fanden die Schüler unter dem Personal der Waldorfschule, andere wurden mit Hilfe der Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“, einer Einrichtung der Gedenkstätte für Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert, ausfindig gemacht. Hier arbeitet Gedenkstättenlehrerin Catrin Eich regelmäßig mit Schülern, um ihnen deutsche Geschichte authentisch zu vermitteln. Auch sie kommt im Dokumentarfilm zu Wort, berichtet über die Beeinflussung von Schülern durch das SED-Regime, die auch bei ihr fruchtete. „Wir lernten: Die Grenzsoldaten, das sind unsere Freunde. Die Bösen lebten dort drüben, auf der anderen Seite des Griebnitzsees“, so Eich im Film. Erst später, als Jugendliche, habe sie alles kritischer hinterfragt.
Acht Wochen lang arbeiteten die Schüler mit finanzieller Unterstützung der „Bundesstiftung Aufarbeitung“ an ihrem Film, aus neun Stunden Bildmaterial entstand ein knapp einstündiges emotionales Dokument. „Warum flieht man, warum bleibt man – die unterschiedlichen Motive der Menschen waren sehr spannend“, sagt Anton Winklhöfer, Schüler der 10. Klasse. Schülerin Lilli Schönemann entschied sich auch wegen ihrer familiären Geschichte für die Teilnahme an dem Projekt. „Meine Großmutter war politischer Häftling in der DDR“, so die 17-Jährige. Über ihre Haft drehte eben jene Großmutter – Sybille Schönemann - 1990 den Dokumentarfilm „Verriegelte Zeit“. Schüler Jacob Zöcklein fand es gerade „als Zugezogener interessant, unmittelbar Betroffene zu erleben“. Überzeugen konnten die Schüler mit ihrem Dokumentarfilm auch die Jury des History-Award 2011 – von 33 Einsendungen belegten sie mit ihrem Beitrag den dritten Platz. Seit dem Jahr 2005 verleiht der Geschichtssender History den Geschichtspreis an Städte, Institutionen und Schüler, die sich in Projektarbeiten geschichtlichen Themen widmen und diese in herausragender Weise bearbeiten.
Den Waldorf-Schülern wird nicht nur ein äußerst anschaulicher Geschichtsunterricht in Erinnerung bleiben, sondern auch die Freude über ein gelungenes Projekt. Bei der Filmpremiere im Potsdamer Filmmuseum erschienen 180 Zuschauer. „Der steinerne Horizont“ soll künftig in der Lehrerfortbildung zum Einsatz kommen.
„Der steinerne Horizont“ kann im Internet unter www.history-award.de abgerufen oder in der Waldorfschule Potsdam (Telefon: 0331-97 20 77) gegen einen Selbstkostenpreis von fünf Euro erworben werden.
Heike Kampe
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: