
© Archiv
Von Heike Kampe: Leben mit Krebs
In Babelsberg hat sich eine neue Selbsthilfegruppe für an Brustkrebs erkrankte Frauen gegründet
Stand:
Als sie die Diagnose „Brustkrebs“ erhielt, hatte sie gerade ihr drittes Kind abgestillt. 37 Jahre jung war sie damals, vor sieben Jahren. Dem ersten Knoten in der Brust schenkte sie nicht viel Beachtung, schließlich verändert sich das Brustgewebe nach dem Stillen. Doch als die Knubbel härter und größer wurden, war der Gang zum Gynäkologen nicht mehr zu vermeiden. Danach ging alles sehr schnell: Mammographie, Biopsie, zwei Operationen, das gesamte Programm innerhalb von drei Wochen. Die linke Brust musste Ingrid M. abgenommen werden. „Sie sind ja noch so jung“, hatte der Röntgenarzt zu ihr gesagt.
In Potsdam erkranken jedes Jahr rund 100 Frauen an Brustkrebs, deutschlandweit sind es nach Angaben des Robert Koch-Instituts etwa 57 000. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Zunehmend sind auch Jüngere betroffen. Rund ein Viertel der Patientinnen überlebt die Krankheit nicht.
„Mit Mitte dreißig denkt man, man ist unsterblich“, erzählt Ingrid M., „gerade, wenn man kleine Kinder hat“. Die Krankheit habe sie plötzlich dazu gezwungen, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. „Sehe ich meine Kinder noch groß werden?“ – dies sei die erste Frage, die man sich dann stelle, so die Potsdamerin. Zu Beginn ihrer Erkrankung hätte sie sich gewünscht, mit anderen Betroffenen über ihre Ängste und Erlebnisse sprechen zu können. Ein Hilfsangebot, das sich speziell an junge Frauen mit Familie richtete, fehlte jedoch in Potsdam.
„Ältere Krebspatienten haben ganz andere Themen als Jüngere“, erklärt die Psychologin Annegret Hoepner, die als Gemeindemitarbeiterin für Frauen- und Familienarbeit in der Evangelischen Kirchengemeinde Babelsberg beschäftigt ist. Für Mütter kämen zu den krankheitsbedingten existenziellen Ängsten noch die Sorge um die Kinder, aber auch ganz handfeste organisatorische Probleme. Wer holt die Kinder ab, wenn ich in der Therapie bin, wer betreut sie, wie organisiere ich den Alltag – das seien drängende Fragen. Auch Sexualität sei ein wichtiges Thema. Hinzu komme, dass Frauen zwischen 30 und 40 häufig voll im Berufsleben stünden und dadurch mit zusätzlichen Zeitproblemen zu kämpfen hätten. Der Austausch mit anderen Betroffenen sei für die Frauen sehr hilfreich, sagt Annegret Hoepner. Diesen Austausch ermöglicht nun eine neu gegründete Potsdamer Selbsthilfegruppe für an Brustkrebs erkrankte Frauen, die von einer selbst betroffenen Babelsberger Mutter von vier Kindern ins Leben gerufen wurde und von der Evangelischen Kirchengemeinde Potsdam unterstützt wird. Gerade jüngere Patientinnen mit Familie sollen bei den Treffen in geschützter Atmosphäre die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch erhalten.
Das Leben von Ingrid M. hat sich nach der Krebsdiagnose verändert, im Großen wie im Kleinen. Sie entschied sich für einen Wiederaufbau der Brust mit Silikon. Die körperlichen Veränderungen waren trotzdem immens: „Am Anfang war ich sehr verunsichert, ich dachte, das sieht jetzt jeder“, schildert sie. Manchmal ließen sie nächtliche Panikattacken aus dem Schlaf aufschrecken. Zu den Sorgen um die eigene Gesundheit kamen die Sorgen um die Kinder und den Ehemann. Dennoch sei sie heute viel gelassener und ruhiger als vor der Krankheit, die schönen Augenblicke im Leben hätten viel mehr Gewicht. „Man freut sich über Dinge, die für andere Leute selbstverständlich sind“. Sie habe auch gelernt, „Nein“ zu sagen, sich selbst öfter an die erste Stelle zu setzten. Die täglichen Entspannungsübungen sind ihr heilig, „Da darf ich nur gestört werden, wenn das Haus brennt, das wissen auch die Kinder“.
Das Leben ging weiter. Ingrid M. baute mit ihrer Familie ein Haus, schaffte sich einen Hund an, trat in einen Chor ein, tat all die Dinge, die sie „schon immer mal machen wollte, aber bisher aus irgendwelchen Gründen nicht getan hatte“. Alle drei Monate musste sie zur Nachuntersuchung. Später halbjährlich, dann nur noch einmal im Jahr. Die Befunde waren immer negativ: der Krebs war weg, fünf Jahre lang. Damit galt Ingrid M. als geheilt. An diesem Tag feierte sie den Befund mit ihrem Mann. Ein halbes Jahr später wurde ein Rezidiv in der Brust festgestellt, der Krebs war zurückgekehrt. „Das zweite Mal hat mich sehr viel mehr betroffen, das hat mich richtig umgehauen“, erzählt Ingrid M. Eine Mutter-Kind-Kur, die sich speziell an Frauen mit Brustkrebs richtete, fing sie wieder auf: „Der Austausch mit den anderen Frauen hat mir sehr gut getan.“
Ingrid M. spricht sehr offen über ihren Brustkrebs. Mit der Zeit lerne man das, sagt sie, man härte ein wenig ab. Ihr Umfeld reagierte ganz unterschiedlich auf ihre Erkrankung. Da gab es langjährige Freundinnen, die sich plötzlich nicht mehr dazu in der Lage fühlten, den Kontakt mit ihr zu halten. Es gab aber auch „wildfremde“ Nachbarn, die sie mit Hilfsangeboten unterstützten. Sehr hilfreich seien ganz konkrete Angebote gewesen: „Soll ich heute die Kinder für dich abholen, darf ich dir etwas vom Einkaufen mitbringen?“. Manchmal sei auch einfach jemand mit einem selbst gebackenen Kuchen vorbeigekommen.
Der Brustkrebs hat auch die Ehe von Ingrid M. verändert. Der Umgang miteinander sei viel aufmerksamer und liebevoller geworden, erzählt sie. „Es wird einem klar, dass man sich nur befristet hat, das schweißt zusammen. Da belächelt man manchmal, worüber sich andere Paare im Freundeskreis so streiten.“
Die neu gegründete Selbsthilfegruppe für an Brustkrebs erkrankte Frauen trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat, 19.30 Uhr in den Räumen des Comenius-Kindergartens in Babelsberg, Schulstraße 10a. Für Väter und Partner gibt es einen Stammtisch am 7. Oktober, 19:30 Uhr in der Kneipe „Gleis 6“ in Babelsberg.
E-Mail-Kontakt: selbsthilfe.potsdam@gmx.de
Heike Kampe
- showPaywall:
 - false
 - isSubscriber:
 - false
 - isPaid: