Landeshauptstadt: Lebensakrobatin
Ksenia Danilova hat ihr Abi mit 1,1 bestanden – erst vor drei Jahren kam sie nach Deutschland
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Ksenia Danilova ist 18 Jahre alt, vor drei Jahren kam die gebürtige Russin nach Potsdam. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt im Aufnahmelager für jüdische Zuwanderer in Peitz landete Ksenia Danilova mit ihrer Mutter und den Großeltern am 17. August 2003 in der Landeshauptstadt. Im Heim für Jüdische Zuwanderer wurde die Familie in einer Drei-Raum-Wohnung mit weiteren Zuwandern untergebracht. Ihr Abitur hat sie in diesen Tagen mit einem Durchschnitt von 1,1 bestanden.
Direkt einen Tag nach der Ankunft begann für sie die Schule. Das habe sie verwundert. „Bei uns geht die immer am 1. September los“, erzählt sie und lacht, „dann kommen die Schüler mit Blumen in der Hand.“ Da sie in Moskau das Lyzeum besuchte, wollte sie hier direkt aufs Gymnasium.
Normalerweise besuchen Jugendliche mit Migrationshintergrund, egal ob Zuwanderer oder Flüchtling, nach ihrer Ankunft zunächst stadtübergreifende Gruppen. Dort erhalten sie intensiven Deutschunterricht und werden auf die Schule vorbereitet. Üblich ist ebenso, die zuletzt besuchte Klasse zu wiederholen. Doch Ksenia Danilova wollte die zehnte nicht wiederholen, sondern direkt in die elfte Klasse. Also suchte sie sich eine Schule. Zur Wahl standen Leibniz- und Humboldt-Gymnasium. Intuitiv habe ihr der Philosoph näher gestanden, als der Forscher. Also entschied sie sich für die Schule in der Galileistraße Am Stern.
Obwohl ihr Deutsch damals noch nicht so gut gewesen sei, habe sie mit dem Schulleiter verhandelt. Er gestattete ihr ein Probehalbjahr in der Elf, das sie bestand. Natürlich habe sie nicht gewusst, ob sie alles versteht, dem Unterricht folgen kann und sich traut auf Fragen zu antworten. Oft habe sie ihr Wissen aus Angst vor Fehlern zurück gehalten. Aber letztendlich habe ihr eiserner Wille gewonnen.
Auch lief nicht alles so einfach weiter. Für ihren ersten literarischen Aufsatz bekam sie eine Fünf. Das habe sie deprimiert, denn „ ich war schon immer eine gute Schülerin“. Inzwischen schreibe sie ohne Fehler und ihr letzter Aufsatz war eine Eins, erzählt die in Koroljew bei Moskau Geborene und Aufgewachsene zurückhaltend. Auch der Unterricht war manchmal etwas befremdlich, so die Art der Gedichtinterpretation. „Hier wird die Poesie nach Alliterationen und Metaphern untersucht. Bei uns hingegen zündet man Kerzen an und spielt Musik.“
Ihre Mutter habe ihr mit auf den Lebensweg gegeben, dass der Mensch ein Lebensakrobat sei. Dieser muss mit mehreren Bällen jonglieren, die für Schule, Familie, Freizeit und Freunde stehen. Konzentriert man sich nur auf einen, fallen die anderen herunter. Daher habe sie sich nicht nur auf die Schule konzentriert. Früher tanzte sie. In den letzten Jahren sang sie unter anderem im Schulchor, organisierte Basare für Schüler in Tansania und pflegte ihre Freundschaften. Dazu kümmere sie sich um ihre Großeltern. Ab und an gehe sie mit in die Jüdische Gemeinde. Wie in den vergangenen Jahren nimmt sie auch in diesem Sommer am Camp der Lauder-Foundation teil. Die Stiftung wurde von Ronald S. Lauder, Sohn der Begründerin des gleichnamigen Kosmetikkonzerns Esteé Lauder, gegründet und bietet vor allem in Osteuropa unterschiedliche Bildungs- und Freizeitangebote für Jugendliche an.
Inzwischen lebt Ksenia Danilovas Familie in einer eigenen Wohnung. Ihre Mutter, studierte Ökonomin und Chemikerin, absolviert derzeit ein Fernstudium der Informatik und Wirtschaftswissenschaften, um in einem Steuerberatungsbüro eine Anstellung zu finden. Die Abiturientin schreibt Bewerbungen für Praktika und einen Studienplatz. Am Liebsten möchte sie in Hannover Medienwissenschaft studieren. Doch auf die 30 Plätze gibt es mehr als 1000 Bewerbungen. Ksenia Danilova ist dennoch optimistisch. Aber zunächst wird das Abitur mit einem Ball gefeiert. Ulrike Strube
Ulrike Strube
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