KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße: Lebenszeichen in Gefängniswänden
Im ehemaligen KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße in Potsdam ritzten Häftlinge ihre Namen in die Mauern. Das Buch „Sprechende Wände“ dokumentiert das Schicksal 50 damaliger KGB-Inhaftierter.
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Potsdam - Kalt, dunkel und beklemmend ist es in dem Kellertrakt des ehemaligen KGB-Gefängnisses in der Leistikowstraße. Tageslicht gelangt kaum in die nur etwa sieben Quadratmeter großen Zellen. Vom Sommer 1945 bis in die 1980er-Jahre diente das Gebäude als zentrales Untersuchungs- und Durchgangsgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr. Zunächst waren hier Deutsche und Sowjetbürger inhaftiert, ab 1954 ausschließlich sowjetische Militärangehörige. Einige von ihnen ritzten während der dunklen Tage der Haft ihre Namen in die Mauern. Das Buch „Sprechende Wände“ beschäftigt sich jetzt mit den Schicksalen der Inhaftierten.
In den Kellerwänden befinden sich 136 Namenseinritzungen deutscher Gefangener. „Sie sind in vielen Fällen die letzten Lebenszeichen von Frauen und Männern, die zum Tode verurteilt worden sind“, sagte Gedenkstättenleiterin Ines Reich bei der Vorstellung des Buches am Freitag. Anhand dieser Einritzungen und auf Basis von Archivrecherchen konnte die Identität von bislang 50 ehemaligen Häftlingen ausfindig gemacht werden, die ihren Namen einst in die Kellerwände des Gebäudes einritzten.
Noch 1300 weitere Inschriften von Häftlingen
Je nach Quellenlage handelt es sich dabei um umfassende Lebensbilder, biografische Studien oder skizzenhafte Darstellungen. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, spricht von „bewegenden und packenden Schicksalen der Inhaftierten“, die im Buch vorgestellt werden.
Neben den 136 eingeritzten Namen konnten noch rund 1300 weitere Inschriften von Häftlingen am und im Gefängnisgebäude gefunden werden. Dabei handelt es sich um kurze Texte, Gedichte oder Zeichnungen, die persönliche Botschaften und Gedanken übermitteln. Auch diese Inschriften finden in dem Buch Erwähnung. „Sie zeigen das Leiden und Denken der Inhaftierten, wie es keine Statistik darstellen kann. Das macht sie lebendig und emotional“, sagt Reich. Thematisch gesehen dominiert bei diesen Inschriften die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Aber auch Kritik und Widerstand an der DDR werden deutlich.
Mit Schrauben, Fingernägeln oder Fischgräten wurde geritzt
Um die Inschriften überhaupt herstellen zu können, verwendeten die Häftlinge alle Werkzeuge, die in Reichweite waren. „Es wurden Nägel, Schrauben, Glas, Besteck, Fingernägel oder auch Fischgräten verwendet“, erklärt Reich.
Eine dieser Inschriften stammt von Wilhelm John, der in die Wand der Zelle Nummer fünf einst seinen Namen einritzte. Gemeinsam mit Frau Else war er 1953 in dem Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße inhaftiert. Ihr Schicksal wird in dem Buch „Sprechende Wände“ noch einmal rekonstruiert.
Der Sohn des Ehepaares, Thomas John, wusste bis vor ein paar Jahren kaum etwas über die Inhaftierung seiner inzwischen verstorbenen Eltern. 2010 habe Gedenkstättenleiterin John ihn angesprochen, ob er der Sohn von Wilhelm John sei. „Dadurch bin ich eigentlich erst so richtig aufmerksam geworden auf die Inhaftierung meiner Eltern“, sagte er. Seine Eltern hätten mit ihm kaum über diese Zeit gesprochen – schon gar nicht im Detail. „Das war ein traumatisches Erlebnis. Sie wollten es wohl einfach nur vergessen und sich nicht mehr mit dem Thema befassen.“ Warum die beiden 1953 überhaupt verhaftet worden sind, hat Thomas John erst durch Gespräche mit Mitarbeitern der Gedenkstätte erfahren.
So fand er heraus, dass sein Vater spätestens 1952 ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) geriet. Das Ehepaar lebte damals im Raum Eisenach. Ein inoffizieller Stasi-Mitarbeiter warf Wilhelm John vor, im Auftrag des französischen Geheimdienstes Industriespionage an seinem Arbeitsplatz, den Eisenacher Motoren-Werken, betrieben und Informationen über sowjetische Militäreinheiten und Truppenstandorte gesammelt zu haben.
"Niemand spricht gerne über schlechte Zeiten"
Etwa ein Jahr später, 1953, wurde er von der Abteilung Spionageabwehr festgenommen. „Mein Vater wurde zum Tod durch Erschießen verurteilt“, berichtet Thomas John. „Zwei Monate nach seiner Verurteilung wurde er begnadigt und erhielt eine 15-jährige Haftstrafe“, so John weiter. Auch seine Mutter Else geriet in die Fänge der Staatssicherheit. Warum sie ebenfalls in das Gefängnis in der Leistikowstraße 1 kam, ist unbekannt. Sie wurde zu zehn Jahren Haft in einem Strafarbeitslager verurteilt. Nach der Verurteilung kamen beide in ein sowjetisches Gulag, wo sie harte Arbeit leisten mussten.
Als das Ehepaar Ende 1955 aus der Haft entlassen wurde, gingen sie ins hessische Weilmünster. „Sie hatten Angst, wieder von sowjetischen Truppen verhaftet zu werden“, erklärt Thomas John die Entscheidung seiner Eltern, nach Westdeutschland zu ziehen. Die Mauer stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dass seine Eltern die Inhaftierung „totgeschwiegen“ haben, versteht er sehr gut: „Niemand spricht gerne über schlechte Zeiten.“ Svenja Morgener
„Sprechende Wände“ von Ines Reich und Maria Schultz erscheint im Metropol-Verlag, 29,90 Euro
Svenja Morgener
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