Landeshauptstadt: Lego-Kamera aus Babelsberg
Beim Rundgang in der Medienstadt verschaffte sich Jann Jakobs einen Überblick über die Gründerszene
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Babelsberg - Er hat mehr Angestellte als Potsdam Einwohner: Insgesamt 206 184 Film-Komparsen sind bei Marco Schenke unter Vertrag. Allein im Jahr 2010 war er für 322 Filmproduktionen im Einsatz – von internationalen Babelsberg-Projekten wie „Unknown Identity“ oder „Hanna“ über Krimiserien wie „Tatort“ und „Polizeiruf“ bis hin zu Werbespots. „Wir haben Rahmenverträge mit allen großen Studios“, sagt der 39-Jährige. Die Geschäftsidee, mit der er seine Firma „Mecon MediaConcept“ 2005 allein startete, ist ebenso einfach wie revolutionär: Der studierte Betriebswirt führte ein Abrechnungssystem für Statisten ein, überwies die Gagen erstmals auf die Konten, übernahm für die Filmfirmen gleichzeitig alle Versicherungsfragen. Vorher wurde das Geld nach Drehschluss einfach bar auf die Hand bezahlt, erinnert sich Schenke. Bei Produktionen mit mehreren tausend Statisten nicht ungefährlich: Er sei teilweise mit sechsstelligen Beträgen bar in der Tasche zum Set gekommen.
Schenke war nicht die einzige Erfolgsgeschichte, die Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) gestern bei der Stadtwanderung durch die Medienstadt zu hören bekam. Gemeinsam mit den Beigeordneten für Soziales, Bauen und Kultur verschaffte er sich beim zweiten Rundgang zum Themenjahr „Stadt des Films“ einen Überblick über die Gründerszene am Medienstandort. Dass sich der Statistenjob lohnen kann, wusste Jakobs aus Erfahrung: „Ich kenne einen, der lebt nur von Komparserie“, sagte er – was die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger bewog, ein augenzwinkerndes „Er meint nicht uns“, nachzuschieben.
Drei Gründerzentren betreibt die Stadt in Babelsberg: Momentan sind im FX-Center, im MedienHaus und dem 2009 eröffneten Guido-Seeber-Haus 65 Unternehmen mit 450 festen und freien Mitarbeiter ansässig, sagte Nicole Poloni von der städtischen Technologie- und Gewerbezentren Potsdam GmbH. Durch die gute Auslastung von 80 bis 85 Prozent sieht sich Wirtschaftsförderer Stefan Frerichs bestätigt. Die Firmen müssten jedoch auch langfristig gehalten werden, betonte er. Derzeit ist das bekanntlich noch ein Platzproblem. Jakobs bekräftigte den Wunsch der Stadt, die Flächen jenseits der Großbeerenstraße zur „Medienstadt II“ zu entwickeln.
Nutznießer der städtischen Gründerzentren sind auch Helmut und Sebastian Timm. Mit ihrer Firma „Schnittstelle Babelsberg“ produzieren sie unter anderem Trailer für Fernsehfilme wie den „Tatort“. Auf noch größeres Interesse stieß gestern eine Neuentwicklung von Sebastian Timm: Aus Lego-Bausteinen, einem Mini-Steuerungscomputer und einer Digitalfotokamera bastelte er eine Zeitraffer-Kamera, die sich selbstständig auf einer Schiene bewegen und drehen kann. Das ermögliche besonders brillante Zeitrafferaufnahmen, erklärte Timm. Denkbar sei der Einsatz für Werbefilme.
Noch experimenteller ging es im „Medieninnovationszentrum“ der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) zu. In dem vor wenigen Wochen eröffneten Neubau will die MABB Schulungen anbieten – so ist hier etwa ein Schulradionetzwerk angesiedelt. Weiteres Ziel ist die Förderung innovativer Projekte.
Da soll etwa die aktuelle Wetterlage als Musik hörbar gemacht werden, wie beim Projekt „Interaktive Musik“. Das Grundgerüst, eine Art Set von Melodien, die wie in einem Kaleidoskop verschieden zusammengesetzt werden können, gebe es bereits, erklärte Initiator Mark Moebius. Nur an den dafür notwendigen Echtzeitdaten zum Wetter fehle es noch. Jann Jakobs empfahl den Gang zum Deutschen Wetterdienst auf dem Telegrafenberg: „Die müssen ihr Image aufpolieren. So ein Projekt wäre da toll.“
Auch Komparsen-Betreuer Marco Schenke tüftelt bereits an der nächsten Revolution, die noch im Sommer auf den Markt kommen soll: ein mobiles Abrechnungssystem für Filmteams. Damit könnten die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter am Filmset mit einem Gerät von der Größe eines Mobiltelefons erfasst und verarbeitet werden. „Nach Drehschluss drück ich auf den Knopf und weiß, was der Tag gekostet hat“, erklärt Schenke. Das sei bislang nicht möglich, weil die Zeiterfassung selbst in den großen Hollywood-Studios handschriftlich erfolge.
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