zum Hauptinhalt
Erfolg mit „Menschen auf der Flucht“: Ralph Stock und Martina Beyer.

© dpa

Landeshauptstadt: Lernspiel mit mordenden Rebellen

Eine Potsdamer Softwareschmiede hat den Computerspielpreis 2013 gewonnen

Stand:

Die Flucht beginnt im Auto, es geht durch ein brandgeschatztes Dorf in Afrika. „Samuel, ich muss dir etwas Trauriges sagen“, berichtet der Fahrer. „Deine Eltern sind erschossen worden. Welch ein Glück, dass du überlebt hast.“ Doch wird Samuel den mordenden Rebellen wirklich entkommen? Das liegt jetzt in der Hand des 15-Jährigen. Der Bürgerkrieg im Kongo: Das Computerspiel „Menschen auf der Flucht“ spielt vor einer schrecklichen Kulisse. Doch der Lerneffekt für Jugendliche ist angeblich groß: Die Entwickler, eine Software-Schmiede aus Potsdam, wurden jetzt in Berlin mit dem Deutschen Computerspielpreis 2013 in der Kategorie „Bestes Serious Game“ ausgezeichnet. „Menschen auf der Flucht“ sei preiswürdig, weil es die Problematik und das Leid von Flüchtlingen durch seine virtuelle Realität „emotional nachvollziehbar“ mache, urteilte die Fachjury.

Serious Games – so heißt das Genre der Computerspiele, die nicht bloß Spaß machen, sondern auch noch einen pädagogischen Mehrwert bringen sollen. Weil der Markt wächst, hat sich die Firma Serious Games Solutions aus Babelsberg gleich ganz auf das Geschäft mit den „ernsthaften“ Computerspielen spezialisiert. „Die Auftraggeber kommen zu je 50 Prozent aus dem In- und Ausland“, sagt Geschäftsführer Ralph Stock. Fünf- bis sechsstellige Summen zahlten sie für eine Anwendung. Der Kundenkreis von Serious Games Solutions reicht von der Krankenkasse AOK bis zum Kartoffelverarbeiter McCain.

Den Auftrag für „Menschen auf der Flucht“ gab das Katholische Missionswerk Missio. Das Ziel: Deutschlands Jugendliche sollen mehr über die Flüchtlingsproblematik in Afrika erfahren – und zwar nicht anhand von Büchern oder Frontalunterricht, sondern spielerisch. So entwickelten Stock und seine Leute einen „interaktiven Parcours“, wo die Kids mit einem Avatar die Flucht aus einem zerrütteten Bürgerkriegsland selbst miterleben. Auf die multimediale Reise geht es in einem großen Lastkraftwagen, der gerade kreuz und quer durch Deutschland fährt und auf Schulhöfen hält. „Zu Hause können die Jugendlichen das Spiel dann am eigenen Computer weiterspielen“, sagt Entwickler Stock begeistert.

Aber ist es auch pädagogisch sinnvoll, wenn Kinder sich über einen Völkermord informieren, indem sie ihn am Computer nachspielen? Hartmut Gieselmann beobachtet das Phänomen der Serious Games seit zehn Jahren. „Das Dilemma ist: Bringen diese Spiele zu viele Inhalte mit, machen sie keinen Spaß. Steht der Spaß hingegen im Vordergrund, bleiben die Inhalte auf der Strecke“, erklärt der Spieleexperte vom Computermagazin „c't“. Häufig sei es deshalb besser, ernsthaftes Lernen und spielerische Entspannung zu trennen. „Spiele können Zusammenhänge anders verdeutlichen als Bücher oder Filme. Sie können diese ergänzen, sollten diese aber nicht ersetzen“, meint Gieselmann. „Vor allem müssen Kinder lernen zu lernen, sonst konsumieren sie später nur noch multimedial aufbereitete Inhalte.“

Spieleentwickler Stock stört das „Schwarz-Weiß-Denken“ mancher Kritiker. „Es geht um einen sinnvollen Medien-Mix“, sagt der 44-Jährige. Niemand stelle die klassischen Lehr- und Lernmethoden in Frage, Vokabeln oder Grammatik müsse man weiterhin büffeln. Aber manchmal könne man den Unterricht auf spannende Weise ergänzen, betont Stock, der mit einem anderen Titel beim Computerspielpreis zusätzlich in der Kategorie „Bestes mobiles Spiel“ nominiert war. Bei „Emergency“ für das iPad müssen die Spieler „Notfallsituationen des Alltags“ klären – etwa nach der Havarie eines Supertankers oder nach einem Meteoriteneinschlag. „Das ist pädagogisch wertvoll“, urteilte die Jury. Haiko Prengel

Haiko Prengel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })