Landeshauptstadt: Lernziel Eigenständigkeit An der kürzlich ausgezeichneten Förderschule Am Nuthetal werden die Kinder fit gemacht fürs Leben
Pippi Langstrumpfs erster und vermutlich einziger Tag in einer Bildungseinrichtung begann mit einem Ritt zur Schule. Ahnte Astrid Lindgren, dass Reiten einst als therapeutisches Mittel, auch und insbesondere für Kinder, zählen würde?
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Pippi Langstrumpfs erster und vermutlich einziger Tag in einer Bildungseinrichtung begann mit einem Ritt zur Schule. Ahnte Astrid Lindgren, dass Reiten einst als therapeutisches Mittel, auch und insbesondere für Kinder, zählen würde?
An der Schule am Nuthetal mit „sonderpädagogischem Schwerpunkt Lernen“ gibt es nicht nur eine Stadt-offene Reitgruppe in Kooperation mit Reiterhöfen, die Schule besitzt sogar ein eigenes Pferd! Und so wie Pippi trotz offensichtlicher Rechenschwäche – zwei mal drei macht nämlich leider nicht vier, wie es in einem ihrer Lieder heißt – ein fröhliches und vor allem starkes Mädchen wurde, sollen die Kinder der Allgemeinen Förderschule im Wohngebiet Schlaatz, eine von fünf Förderschulen der Stadt, für das Leben stark gemacht werden. „Unsere Schüler sollen sich einmal selbst versorgen und Verantwortung übernehmen, in einer eigenen Wohnung leben und einer Arbeit nachgehen können.“ Für die nachdrückliche Umsetzung des von der Schulleiterin Anni Linke-Jankowski formulierten Anspruchs an ihre Arbeit und die ihrer Kollegen gab es im vergangen Jahr eine tolle Auszeichnung. Die Ganztagsschule wurde dritter Landessieger im Wettbewerb „Starke Schule – Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“.
Linke-Jankowski, Lehrerin für Deutsch, Religion und Gesellschaftskunde, die nach jahrelanger Tätigkeit im Bereich der Sekundarstufe I und II ein vierjähriges Studium der Sonderpädagogik absolvierte, ist eine bescheidene Frau. Dass ihre Schule an einem Wettbewerb teilnehmen könnte, darauf kamen sie und ihre Kollegen erst durch einen Hinweis aus dem Gremium, das eine Schulvisitation durchführte. „Medien, das ist nicht so meins“, sagt sie, um das Bewerbungsverfahren kümmerte sich Catja Weihrauch, Sonderpädagogin wie fast alle im Kollegium.
140 Kinder aus dem ganzen Stadtgebiet, Umland und Berlin besuchen täglich den großzügigen Plattenbau mit einem freundlichen Schulhof, der eher ein Garten ist, 140 Kinder, die hier in kleinen Klassen von sieben bis 15 Kindern lernen, was anderen leichter fällt: Das Lernen an sich. „Unsere Kinder haben Defizite auch in Teilbereichen, durch die sie im Lernen be- und gehindert sind. Manchmal verhinderte das häusliche Umfeld einen regelmäßigen Schulbesuch, weshalb sich Probleme entwickelten. Sie lernen vielleicht langsamer oder einfach anders“, erklärt die Schulleiterin. Hier sollen sie neue Erfahrungen machen, Selbstbewusstsein erlangen und sich angstfrei im Klassenverband bewegen dürfen, um überhaupt lernen zu können. Angebote wie Reiten und Fußball, Kochen und Filzen, meist unter Anleitung professioneller Fachleute, tragen dazu bei, dass die Kinder spüren: Ich kann auch was. Ein wichtiger Schritt.
Was die Schule folglich auszeichnet, ist das praxisorientierte Lernen und die Öffnung nach Außen, die sich in der Teilnahme an lokalen Projekten und Initiativen wie Sport-Turnieren, dem Stadtteilfest oder Weihnachtsmarkt niederschlägt,. „Wir wollen nicht im eigenen Saft schmoren“, sagen die Pädagogen. Auch Austausch und Vernetzung mit Schulen aus ganz Brandenburg oder europäischen Nachbarländern werden gepflegt. Vor einigen Jahren nahm die Schule als eine der ersten Förderschulen am Europäischen Comenius-Projekt teil, derzeit finden regelmäßige Schüler- und Lehreraustausche mit der dänischen Partnerschule statt. „Wir schauen über den Tellerrand und spüren: Wir sind ja auch wer“, sagt Linke-Jankowski, offen lassend, ob sie damit sich oder die Kinder meint – oder alle.
Mit der besonderen Ausprägung des praktischen Lernens nehmen sie im Land Brandenburg eine Vorreiterrolle ein. Der wöchentliche Praxistag ab Klasse acht, an dem die Kinder in den Firmen der Kooperationspartner wie Schlösserstiftung, dem BuS e. V. oder dem Bauhof arbeiten, soll die Berufsfindung erleichtern und nicht zuletzt helfen, verloren gegangene Werte zu erlernen: Pünktlichkeit und Einsatzbereitschaft, Selbständigkeit – Dinge, die zu Hause oft nicht genügend vermittelt werden. Und so manches Kind, das sich bisher als Versager wähnte, blüht durch Erfolgserlebnisse auf und lässt sich neu motivieren.
Wer hier einen der beiden möglichen Abschlüsse gemacht hat, den „Abschluss der allgemeinen Förderschule“ oder „einen der Berufsausbildungsreife gleichgestellten“, kann ein berufsvorbereitendes Jahr absolvieren und findet mit etwas Glück und Hilfe der Arbeitsagentur anschließend eine Lehrstelle, oft eine sogenannte theoriereduzierte Ausbildung. „Das heißt dann nicht Tischler, sondern Fachwerker Holz“, so Linke-Jankowski und Weihrauch.
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