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Landeshauptstadt: Lesen und leben

Mehr Bücher wünscht sich Wilhelm Hamann zum 106. Geburtstag: „Der Rest ergibt sich.“

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Potsdam-West - Der älteste Potsdamer ist fast wunschlos glücklich: „Ich möchte nur weiter lesen können, der Rest ergibt sich“, sagt Wilhelm Hamann abgeklärt und bescheiden. Während gestern zu seinem – nahezu unglaublich klingenden – 106. Geburtstag viele Menschen um ihn herumwuseln, sitzt der geistig nach wie vor rüstig wirkende Hamann leger in einer Ecke des Saals in seinem Rollstuhl. Seit einiger Zeit wollen die Beine nicht mehr so, vor ein paar Jahren spazierte er noch regelmäßig durch Sanssouci und Potsdam-West. Dafür wird täglich das Gehirn trainiert, erzählen sowohl Betreuer als auch Familienangehörige. „Er will noch immer jeden Morgen seine Zeitung haben“, berichtet Gertrud Bodach, Pflegedienstleiterin im Hasenheyer-Stift. Sein Sohn, der auch Wilhelm Hamann heißt, brachte in den vergangenen Monaten immer wieder Bücherstapel mit. „Seit einiger Zeit liest er viel. Biographien und Erinnerungen interessieren ihn besonders“, sagt der Sohn des 106-jährigen Jubilars.

Das Interesse an persönlichen Geschichten rührt wohl auch daher, weil er selbst jahrelang geschrieben hat, unter anderem beim Schriftsteller-Projekt „Zeitzeugen“, bei dem Potsdamer Senioren über Erlebnisse aus der Vergangenheit schreiben. Wilhelm Hamann wurde am 5. November 1903 in Forst in der Lausitz geboren: „Meine Eltern verreisten sehr viel mit mir. Das war die schönste Zeit in meinem Leben.“ Dann kam der Krieg, Hamann wurde nicht gezogen. Danach übernahm er das Kolonialwarengeschäft des Vaters in Forst, baute es zum Großhandel aus. Im Haus half dem Alleinlebenden die gute Seele Helene. Das machte sie so überzeugend, das Hamann sie schließlich heiratete. Die Ehe hielt 52 Jahre, 1988 starb Hamanns Frau.

Während der Zeit des Nationalsozialismus erlebte Wilhelm Hamann „einen seiner größten Lebensbrüche“, berichtet der Nachwuchs. Er habe sich der NSDAP angeschlossen, wurde im letzten Kriegsjahr eingezogen, überlebte aber alle Kämpfe, selbst die Schlacht bei Halbe. Allerdings verlor er nach Kriegsende seine berufliche Existenz. Hamann ging nicht mehr zurück nach Forst, sondern zog nach Zerbst. „Dort arbeitete er als Hauptbuchhalter in einer Baufirma bis zum 75. Lebensjahr“, erzählt sein Sohn. „Er war akribisch, maß selbst mit dem Zollstock nach.“

Diese Akribie und Zielstrebigkeit hat er bis heute beibehalten. „Egal, ob er Münzen oder Briefmarken sammelte – wenn er sich für etwas begeistert, dann ist er voll dabei“, sagt sein Sohn. Wie bei der Zuckertütchen-Sammelleidenschaft: Über 1500 dieser Mini-Zuckerpackungen sind es mittlerweile, zusammengetragen aus der ganzen Welt, die der 106-Jährige im Hasenheyer-Stift aufbewahrt. „Ich weiß schon gar nicht mehr wohin mit all den Tütchen“, sagt der Jubilar.

Dafür weiß der Senior, wohin mit den Rotweinflaschen, die er geschenkt bekommt. Es hat sich herumgesprochen, dass Potsdams Stadtältester noch immer ein Glas Rotwein pro Tag trinkt – das lässt er sich nicht nehmen. „Von den Geburtstagsflaschen zehrt er ein ganz Jahr“, weiß Pflegedienstleiterin Bodach zu berichten. Ob der Rebensaft das Hamann’sche Lebenselixier ist, weiß der 106-Jährige selbst nicht recht. Ein allgemeingültiges Rezept für ein langes Leben „kenne ich jedenfalls nicht“. Sein eigenes hat er aber offensichtlich gefunden. Kay Grimmer

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