Landeshauptstadt: Letztes Stündlein in der Friedenskirche
60 Potsdamer kamen zum nächtlichen Gottesdienst mit Musik und Meditation über das vergangene Jahr
Stand:
Brandenburger Vorstadt - Die einen lassen in der letzten Stunde des Jahres Sektkorken und Böller knallen, andere ziehen es vor, Beethovens Neunte oder andere Musik zu hören und in Gedanken das alte Jahr Revue passieren zu lassen. Für diese Klientel bot die Friedenskirche im Park Sanssouci in der letzten Stunde des alten Jahres Gelegenheit zur Meditation.
Stadtkirchenpfarrer Markus Schütte hatte dazu eingeladen und etwa sechzig Gäste erlebten am Sonnabend ab 23 Uhr eine knappe Stunde mit Musik und Rezitationen. Zwölf dicke rote und weiße Kerzen, für jeden Jahresmonat eine, flackern auf dem Steinfußboden des Kirchen-Mittelschiffs und es hat etwas Erschreckendes, als Markus Schütte und Frau Astrid nach und nach alle Kerzen auslöschen: für jedes schreckliche Ereignis des alten Jahres ein Verlöschen. Die Flutkatastrophe in Südostasien gehört ebenso dazu wie der Tod von Johannes Paul II. sowie Unglücke und Pariser Krawalle.
Wie aus diesem Jammertal wieder herausfinden? Da haben die beiden Verdunkler zum Glück ein Kerzenlicht bei der Hand, um die erkalteten Jahreskerzen wieder zum fröhlichen Flackern zu bringen: für jedes schöne Ereignis ein Licht. Von der Spendenbereitschaft für die Flut-Opfer bis zur Wiederweihe der Dresdener Frauenkirche reichen die freudigen Botschaften. So wird es wieder ein wenig heller in der Friedenskirche, in der das wunderschöne Apsismosaik leider im Dunkeln liegt. Vom beleuchteten Stehpult aus erklingen Rezitationen: elegisch wirkende Texte, gekonnt vorgetragen, aber so schnell kaum inhaltlich zu erfassen und zu verarbeiten. Am ehesten noch der Schlusstext „Ein jegliches hat seine Zeit“. In diesem Text hat sogar das Lieben seine Zeit, etwas, was ansonsten in der Meditation sehr kurz wegkommt.
Zum Schluss der meditativen Dreiviertelstunde zieht Kirchenmusikdirektor Matthias Jacob an der volltönenden Woehl-Orgel noch einmal alle Register. Draußen erfreut anschließend der herrliche Anblick des schneebedeckten Parkes und des Glockenturmes der Friedenskirche die Kirchgänger. Die oberen Etagen des 42 Meter hohe Campanile sind nachts innen beleuchtet, so dass das Licht die zierlichen Rundbogenarkaden betont. Für das Glockengeläut ist es nach dem Ende des meditativen Gottesdienstes jedoch noch zu früh. Buchstäblich bis zur letzten Minute des alten Jahres strömen die Menschen in den Park Sanssouci. Scheinbar die halbe Bewohnerschaft der Brandenburger Vorstadt zwängt sich durch den engen Affengang, um in dessen Verlängerung auf die Terrassen des Schlosses Sanssouci zu gelangen Von dort aus lässt sich das Silvesterschauspiel am besten betrachten. Und von hier aus ist endlich auch der Klang der Glocken zu vernehmen: das Geläut der Friedenskirche begleitet von dem der nahen Erlöserkirche, in der sich die Glocken der Garnisonkirche befinden. So ist zum Jahreswechsel alles wieder vereint: Fröhlichkeit, Sektlaune und Meditation – ganz ausschließen kann das eine das andere offenbar doch nicht.
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