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Etwas HELLA: Liebeserklärung an die Tram

Gleich eine Liebeserklärung an die Straßenbahn, das ist dann doch des Guten zu viel, meinen Sie. Überhaupt nicht, sage ich, denn sie hat jede Menge liebenswerte Vorteile.

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Gleich eine Liebeserklärung an die Straßenbahn, das ist dann doch des Guten zu viel, meinen Sie. Überhaupt nicht, sage ich, denn sie hat jede Menge liebenswerte Vorteile. Zum Beispiel den, auf Schienen zu fahren, im eigenen Gleisbett. Das erspart ihr als Alleinnutzer jedweden Stau. Wenn sie nicht gerade in der Zeppelinstraße in einen gerät, wo sie sich die Fahrbahn mit den Autos teilen muss. Leider klappt die Park-and-ride-Kopplung noch nicht richtig. Es werden zu wenig Autos am Stadtrand stehen gelassen, um in die City dann mit den Öffentlichen zu fahren. Ich höre auch nirgendwo die Ankündigung, dass ab 2000weißnichtwann das Parkticket an Fahrpreisvergünstigungen für Bus und Bahn gekoppelt wird. Wobei mir die ewigen Fahrpreissteigerungen ohnehin nicht nur aufs Portmonee, sondern auch auf mein umweltfreundliches Gemüt gehen. Doch ansonsten ist die Straßenbahn auch noch liebenswert – zusätzlich zum einfachen Transport von A nach B. Sie fährt stromgetrieben und abgaslos durch unsere feinstaubbelasteten Straßen. Das mehr oder weniger freundliche Rattern und Quietschen gibt eine herrliche und besänftigende Melodie der Moderne ab. Interessante Gespräche, die man über das Smartphone übermittelt bekommt, verkürzen die Fahrtzeit. „Hallo, ja, ich sitze jetzt in der Straßenbahn und bin gleich da.“ Hätte ich nie vermutet. Ich weiß nun auch, dass Cindy ihrem neuen Freund ein T-Shirt mit „Fuck you“ -Aufdruck gekauft hat und dass Johannes immer noch nicht stubenrein ist. Leider verstehe ich trotz Volkshochschulkurs zu wenig türkisch, um die Familienverhältnisse in die Reihe zu bekommen. Ich bin dann aber bass erstaunt, dass mir zweimal kurz hintereinander ein Sitzplatz angeboten wird – und Sie werden es nicht glauben – von einem jungen Ausländer. Von den Deutschen, das weiß ich aus Erfahrung, steht nie einer auf, weder Kind noch Kegel. Schließlich wurde vom ureinwohnenden Steuerzahler der Sitzplatz sozusagen auf Lebenszeit erworben. Und die Straßenbahn nimmt, wenn es irgend geht, auch so ziemlich alles mit, was in Bus oder Auto nicht hineinpasst, als da sind Weihnachtsbäume, Zwillingskinderwagen oder Stapelware.

Die Fahrgastziffern steigen und steigen, sodass sogar die nostalgischen Tatra-Bahnen wieder aushelfen müssen. Deshalb sollten wir den Neusiedlern im Norden Potsdams und den Plattner-Campus-Benutzern auch ihre eigene Tramlinie gönnen und den Stau während der Bauarbeiten (meinetwegen zähneknirschend) hinnehmen. Den Tipp für Autofahrer, während dieser Zeit auf den Bus umzusteigen, finde ich durchaus zumutbar. Schon wegen der Übung, falls die Staus im Allgemeinen und Besonderen noch schlimmer werden, die Öffentlichen als zweitbeste Alternative zur Kenntnis zu nehmen. Denn die Beste – glauben Sie mir – ist das Fahrrad. Allerdings wird es mit dem schwierig, einen Kinderwagen oder Bierkasten zu transportieren.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam

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