Landeshauptstadt: Liebeserklärung vom Sandpoeten
Uetz feiert am heutigen Samstag sein 700-jähriges Bestehen. Nicht nur die Wublitz ist dem Dörfchen im Lauf der Zeit abhandengekommen
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Das war eine Liebeserklärung par excellence: „Du schönster Ort im ganzen Havelland, wer könnte je dich ungerührt verlassen“, schrieb einst Schmidt von Werneuchen über das Dörfchen Uetz im Norden Potsdams. Der wegen seiner als etwas naiv geltenden Dichtkunst bespöttelte „Sandpoet“, 1764 in Fahrland geboren, hatte wohl einen Narren gefressen an diesem Ort, der so malerisch an der Wublitz lag und dessen Gäste einst mit der Fähre anreisten, meist aber hier wohl nur auf der Durchreise waren.
Die Fähre ist inzwischen weg, die Wublitz auch. Der Fluss hat sich weiter nach Süden zurückgezogen, seit man hier 1936 die Reichsautobahn gebaut hat. Nur ein undurchdringliches Sumpfgebiet am Ortsrand erinnert heute an den alten Havelausläufer – und natürlich auch das alte Fährhaus. Henry Sawade, ein Enthusiast mit Ausdauer und Liebe zum Detail ist seit anderthalb Jahren dabei, diesem über 170 Jahre alten Fachwerkhaus zu neuem Glanz zu verhelfen. Einige der gelben Ziegelsteine tragen weiße Zahlen aus Kreide. Jeder dieser Steine, so erzählt Sawade, wird irgendwann fein säuberlich einzeln aus der Mauer herausgeschlagen werden, aber natürlich so, dass dem Ziegel dabei nichts passiert. Später, nach der Reinigung von Hand, kommt jeder Stein wieder an die Stelle, an der er seit 170 Jahren steckte. Die frisch gelb strahlenden Ziegel ohne Nummer haben die Reinigungsprozedur bereits hinter sich.
„Wenn ich mal fertig bin, ist das ganze Haus wieder so, wie es 1838 mal aussah“, sagt Sawade und zeigt dabei auf einen fertig restaurierten Giebelteil. Na, jedenfalls in den meisten Bereichen soll der alte Zustand wieder her, so stellt es sich der junge Mann vor. Nicht nur außen, auch innen wühlt er sich derzeit durch den materialisierten Zeitstrahl der Geschichte: „Wir haben uns durch 28 Farbschichten gekämpft.“ Das gehe nur „mit Skalpell und mit einer Lupe“.
Zwar keine Lupe, aber doch ein wenig Spürsinn benötigt man indes, um nachzuvollziehen, wo Sawades Vorgänger, die Fährmänner, hier einst ihrem Gewerbe nachgingen. Am Ende des Fährgrundstücks wird es immer feuchter. Schilf und bei genauerem Hingucken auch Wasser sind zu sehen. Sawade durchstreift in seiner grünen Arbeitskluft das Gelände und dreht sich plötzlich um: „Also jetzt sind wir eigentlich schon mitten im Wasser - die Wasserlinie war hier vorne.“
Doch so uneingeschränkt idyllisch ist es heute hier nicht mehr. Ein paar Meter von Sawades Anwesen entfernt braust der Verkehr auf dem Berliner Ring. Seit bald 80 Jahren, als man diese Pulsader der Neuzeit dicht am Ort vorbei durchs Havelland schlug, gilt Fontanes Anmerkung nicht mehr, der in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schrieb, Uetz sei gewiss der stillste Ort im ganzen Havelland. Die Stille ist dahin, hinweggefegt wie die Zeit, als die Bauern noch mit Pferd und Wagen durchs Dorf fuhren.
Bei der Agro Uetz-Bornim, hervorgegangen aus der alten LPG, hat sogar schon die allerneueste Zeit Einzug gehalten, wie die Solaranlage auf dem Dach verrät. Und drinnen im Büro beim Chef, da wacht der Vierbeiner Anton. „Der passt auf uns auf“, sagt eine Mitarbeiterin. Der Hund sei immer dabei. 1999 ist Betriebsleiter Stephan Otten vom Niederrhein hierher zur Agro gekommen. Warum es ihn gerade in das 220-Seelen-Dorf Uetz zog? „Bauernsohn ohne Hof musste sich nach dem Studium was suchen“, sagt der 39-Jährige.
Ganz am anderen Ende des Dorfes, auf der Uetzer Reitsportanlage, wohnt Herbie. 1 500 Gramm soll er nur wiegen, dieser Vierbeiner der Rasse Teacup Chihuahua. Doch das mit den vier Beinen ist bei ihm so eine Sache. Nimmt Herbie richtig Geschwindigkeit auf, dann zieht er das hintere linke Beine wie ein Flugzeugrad ein und rennt auf drei Beinen los. „Der war schon im MRT“, sagt Anja Näder, die sich um Herbie kümmert: „Der Hund hat ja tausend Baustellen, weil der überzüchtet ist.“ Sie habe ihn von ihrer Tochter übernommen, berichtet Näder. Tochter Julia wiederum ist hier seit Kurzem die Chefin auf der Reitsportanlage. Ungefähr 50 Pferde habe man derzeit in Pension, sagt Mutter Anja. Und wenn der Großstädter hier sein Pferd besucht, kann er natürlich auch gleich in der Halle oder dem Freigelände sein treues Tier reiten.
Fürs leibliche Wohl der Reiter sorgt indes Joe. Er ist der Wirt im Restaurant „Zur Scheune“, das sich gleich mit auf dem Gelände befindet. Joe, eigentlich Joseph Eric Hajnal, ist erst seit anderthalb Jahren hier. Vor 62 Jahren in Französisch Guayana geboren hat es ihn nie lange an einem Ort gehalten, sagt der Vollbartträger im Country-Outfit. Nordamerika, Irland, Berlin, Fahrland und jetzt Uetz. „Ich war schon in der ganzen Welt – aber nie länger als sechs Jahre an einem Platz.“ Nach der Zeit in Fahrland wollte er eigentlich wieder nach Nordamerika zur Verwandtschaft. Doch dann entschied er sich für Uetz. Aber der Plan zum Auswandern, der stehe noch immer.
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