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Eine Welt erträumen. Potsdamer Schüler kamen am Mittwoch zum ersten Schülergottesdienst in die Friedenskirche. Es wurden Nagelkreuze gebastelt und ein „Sündenbock“ gefüttert.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Liebespaare und intelligente Ratten

Zum ersten Mal organisierten drei städtische Schulen einen Gottesdienst zum Buß- und Bettag

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Schlafen, Schminken, Schule, Essen, Chatten. Klavierunterricht, Hausaufgaben, Fernsehen. So hatte ein Mädchen ihren Tagesablauf auf dem Arbeitsblatt notiert, der am Infostand über Kindersoldaten auslag. Deren Tag sieht ganz anders aus, immer den möglichen Tod vor Augen, war die Botschaft der Neuntklässler des Helmholtz-Gymnasiums, die das Projekt betreuten.

Sich Gedanken zu machen über das eigene Leben und das der anderen, zu reflektieren, wo ist die Welt in Ordnung und wo gibt es noch was zu tun, das war das Anliegen des ersten Potsdamer Schulgottesdienstes zum Buß- und Bettag. In der Friedenskirche trafen sich Mittwochmorgen etwa 150 Schüler der siebenten bis zehnten Klassen der Voltaire-Gesamtschule sowie des Humboldt- und Helmholtz-Gymnasiums. Die freiwilligen Teilnehmer wurden dafür vom Unterricht frei gestellt.

Schon seit Wochen war im Religionsunterricht der Werkstatt-Gottesdienst zum Thema „Lasst uns eine Welt erträumen“ vorbereitet worden, sagte Schulpfarrer Matthias Vogt, der mit seiner Kollegin Marianne Wewerke und Garnisonkirchenpfarrerin Juliane Rumpel den Gottesdienst leitete. „Wer kann heute noch etwas mit dem Begriff Buße anfangen? Es gibt den Bußgeldbescheid – sonst ist das Wort verschwunden aus unserem Sprachalltag“, sagte Rumpel. Allerdings könnten Jugendliche sehr wohl etwas mit den Begriffen Umkehr, Einhalten und Veränderung anfangen.

Zwar äußerten zwei Zehnklässlerinnen den Verdacht, dass viele vor allem wegen des Unterrichtsausfalls den Weg in die Kirche gefunden hätten, doch die meisten Schüler nutzten rege die Informationsstände und Mitmachangebote, die die Jugendlichen selbst betreuten, zum Nachdenken über Mobbing, rechtsextreme Gewalt aber auch Gewalt in der Bibel. Bei den Voltaire-Schülern wurden aus eckigen Zimmermannsnägeln Nagelkreuze gebastelt – Zeichen der Versöhnung, die ihren Ursprung im englischen Coventry haben. Die Versöhnungskapelle lud ein zum Nachdenken über das, was einen belastet, ein aus Draht gebastelter „Sündenbock“ schluckte Zettel mit persönlichen Anliegen, Bitten, Gebeten. „Ich weiß nicht, ob ich dran glaube“, sagte ein Mädchen, „irgendwie vielleicht schon.“ Ein konkretes Anliegen hatten die drei Jungs des Helmholtz-Gymnasiums, die ein Video über Landminen zusammengestellt hatten. Anschaulich berichteten sie über eine Initiative in Afrika, die Ratten zum Zwecke der Minensuche trainiert. „Die können den Sprengstoff riechen, lösen, weil sie so leicht sind, den Zünder aber nicht aus“, erzählten sie begeistert. 500 Euro koste im Durchschnitt das Räumen einer Mine.

Wie eine bessere Welt aussehen könnte, zeigte das großflächige Bild, das in Gemeinschaftsarbeit entstand: Blumen und Liebespaare unter einem Regenbogen. Entspannt träumen, vielleicht von einer besseren Welt, ließ es sich auf den Decken und Kissen in der Apsis, während ein paar Schüler vom Humboldt-Gymnasium auf Stimmenfang gingen: Pro oder kontra Garnisonkirche hieß die Abstimmung per Button. Die Sinnhaftigkeit des Buß- und Bettages wurde ebenfalls diskutiert. Er sei zwar „arbeitsfrei, befreie von negativer Energie und gebe Anlass zu Nachdenken und Veränderung, mache aber depressiv und sei manchem womöglich unangenehm“, hieß es auf dem Plakat. „Daher ist dieser Tag sinnvoll“, befanden die Schüler pragmatisch. Schulpfarrer Vogt freute sich über die große Resonanz. Einen Schulgottesdienst zum Buß- und Bettag soll es auch im kommenden Jahr geben.

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