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Homepage: Liebesversprechen aus dem Holzkasten

Der Potsdamer Sprachwissenschaftler Joachim Gessinger über Sprachmaschinen im 18. Jahrhundert

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Ungläubiges Kopfschütteln beim Potsdamer Publikum: Dass irgend jemand in diesen quäkenden Geräuschen ernsthaft eine „vollkommene Menschenstimme“ hört, scheint unvorstellbar. Und doch waren die Pariser mehr als 200 Jahre zuvor begeistert, als der Österreicher Wolfgang von Kempelen dort seine Sprechmaschine vorgestellt hat. Das zumindest beteuerte der Potsdamer Sprachwissenschaftler Joachim Gessinger am vergangenen Sonntag im Alten Rathaus. Vor etwa 40 Interessierten sprach er über die Physik, Physiologie und Physiognomik der Stimme im 18. Jahrhundert: „Sprache aus Maschinenmund“ lautete der Titel seiner Sonntagsvorlesung.

Bei der „Sprechmaschine“, von der Joachim Gessinger Originaltöne einspielte, handelte es sich nicht um einen Automaten. Die „Sprechmaschine“ war ein Kasten mit 30 Zentimetern Kantenlänge und einem seitlich angebrachten Blasebalg, der in den Ohren des zeitgenössischen Publikums „mit größter Deutlichkeit“ sprach. Latein, Französisch und Italienisch fielen dem Holzkasten, der heute im Deutschen Museum in München steht, dabei offenbar besonders leicht. „Deutsch gerät selten ganz deutlich“, soll der Erfinder von Kempelen bemerkt haben. Schuld seien unter anderem die vielen Hauchlaute.

In rasantem Tempo schlug Professor Gessinger den Bogen vom Pygmalion-Mythos und seiner Rezeption im 18. Jahrhundert, über das physiologisierende Menschenbild der Zeit, das Dogma der visuellen Aneignung von Wissen, die dualistische Erkenntnistheorie, Vaucansons künstliche Ente, die sogar den Verdauungsvorgang reproduzieren konnte, zu verschiedenen Versuchen der mechanischen Lauterzeugung. Forscher in Halle, Kopenhagen, London, Montpellier, Paris, Sankt Petersburg und Wien waren damals mit dem Thema der „mechanischen Erzeugung menschlicher Laute“ beschäftigt. Gessingers Ausführungen gerieten allerdings etwas zu rasch, als dass sie sich zu einer Skizze der europäischen Wissenschaftslandschaft des 18. Jahrhunderts hätten fügen können.

Hängen geblieben sind aus dem knapp einstündigen Vortrag dagegen skurrile Details von den „Anfängen der akustischen Phonetik“: So zum Beispiel der Versuch eines Franzosen, durch die Kehle eines toten Hundes zu blasen, um dem Geheimnis der Stimmerzeugung auf die Spur zu kommen.

Dieses Geheimnis sei jedoch mit keinem noch so kompliziert nachgebauten Mechanismus zu lösen, so Gessingers Resümee. Auch wenn es mittlerweile gelingt, menschliche Stimmen aufzuzeichnen: Bis heute sei nicht genau bekannt, wie Vokale tatsächlich gebildet werden. Nur die Bereitschaft der Leute, die Maschinen des 18. Jahrhunderts sprechen zu hören, habe diese zu sprechenden Maschinen gemacht. Mit etwas Nachhilfe verstanden dann auch die Potsdamer den Sprechkasten: „Es war ... I go ... je t’aime“. Jana Haase

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