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Landeshauptstadt: Luise in der Tüte

Zwei Potsdamer, 100 und 105 Jahre alt, besuchten den Landtag. Die Stadt plant weitere Ausflüge für Senioren

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Als Ida Kähne und Wilhelm Stintzing geboren wurden, da war das Potsdamer Stadtschloss noch im Besitz der königlichen Familie. Es wurde aber nur noch zu Repräsentationszwecken genutzt und durfte bereits seit 1900 besichtigt werden. Zehn Pfennig kostete der Eintritt. Am gestrigen Donnerstag besuchten und besichtigten die beiden Senioren den neuen Nachfolgebau. Eingeladen von Stadt und Land waren Potsdamer Bürger ab einem Alter von einhundert Jahren.

Etwa 40 Potsdamer und Potsdamerinnen gebe es in dem Alter, sagte Sozialdezernentin Elona Müller Preinesberger (parteilos). Regelmäßig macht sie Geburtstagsbesuche bei diesen Jubilaren. Dabei habe sie gespürt, dass sich auch die Älteren noch sehr für ihre Heimatstadt interessieren. Häufig werde dann bei ihr nachgefragt, was sich so verändert in der Stadt. Deshalb soll es nun gezielt Veranstaltungen für Senioren – nicht nur Hundertjährige – geben, bei denen diese Potsdam neu entdecken können. „Am 29. September gehen wir anlässlich des Tages der älteren Menschen ins Hans Otto Theater, schauen uns das Haus an – wir dürfen sogar hinter die Kulissen“, sagte Müller-Preinesberger.

Am gestrigen Vormittag ist zunächst der Landtag dran. Die Gruppe ist überschaubar, Ida Kähne, zweitälteste Potsdamerin, die bereits 105 Jahre alt ist, und Wilhelm Stintzing, der kürzlich 100 Jahre alt wurde, bekamen quasi eine Privatführung von der SPD-Landtagsabgordneten Klara Geywitz. Dass es nicht mehr waren, die das Angebot nutzten, sei möglicherweise normal: „In dem Alter entscheidet man meist kurzfristig, ob man sich für einen Ausflug noch fit genug fühlt“, sagte Müller-Preinesberger.

Für Ida Kähne ist schon der Alltag anstrengend. Sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen, der ihr einerseits Mobilität ermöglicht, andererseits vieles auch kompliziert mache, sagt die Enkeltochter der alten Dame, Berinice Gehrmann. „Wir sind deshalb mit dem Taxi hier“, meint sie. Ihre Großmutter lebt in Babelsberg in einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Vor etwa 16 Jahren kam sie aus Brandenburg/Havel. Das alte, originale Schlossgebäude hat sie nie gesehen. Vor einigen Jahren war Ida Kähne aber in der Nikolaikirche, Manfred Stolpe war dort und es war richtig voll. Von der Dachterrasse aus sieht sie hinüber zur Kirche und weiter Richtung Freundschaftsinsel. Dort habe sie früher gern im Café gesessen und die Paddler beobachtet. Den neuen Landtag kennt sie nur aus dem Fernsehen, sagt Ida Kähne und versucht, sich im leeren Plenarsaal, der auch besichtigt wird, zu orientieren. Gut, dass es hier eine Rampe für Rollstuhlfahrer gibt.

Jetzt werden die Augen schlechter, sagt die Enkelin, und auch das Hören. Klara Geywitz muss laut und deutlich sprechen, um verstanden zu werden. „Ich komme besser rüber zu Ihnen“, sagt Wilhelm Stintzing in seiner wunderbar charmanten Art zu der Abgeordneten, als diese im historischen Schaufenster des Landtags die erhaltenen Reste des originalen Schlossfußbodens erklärt. Ida Kähne schaut aus ihrer niedrigen Sitzposition konzentriert durch den gläsernen Fußboden auf die königlichen Fliesen. „Sie liebt die deutschen Königshäuser“, sagt die Enkelin, damit kenne sie sich aus.

Wilhelm Stintzing, Pfarrer a. D., ist sogar mit einem Prinzen gemeinsam in die Schule gegangen. Mit Oskar von Preußen, sagt er. Stintzing, der fast sein ganzes Leben in Potsdam verbracht hat, kann sich noch an das Stadtschloss erinnern. In den 30er-Jahren war er bisweilen hier, Behörden waren hier untergebracht. „Ist gut gelungen“, sagt er zu dem Nachbau, ihm gefällt die Verbindung von historischer Fassade und modernem Inneren.

Im Plenarsaal wird fotografiert, Stintzing setzt sich neben Ida Kähne, im Hintergrund den „umstrittenen Adler“ , wie er ihn nennt, und sagt: „Wir machen jetzt beide ein schönes Gesicht.“ Dann schaut er in die Runde, über die leeren Sitzreihen hinweg und spricht vor sich hin: „Aha, hier sitzen also all die weisen Leute.“ Zeitung lesen geht zwar nicht mehr, aber das Interesse an Politik ist noch da. Der Hundertjährige wohnt noch allein, ist weitgehend selbstständig. Eine Bekannte begleitet ihn, die Berlinerin war auch noch nicht im Landtag. Dieser Ausflug für sehr betagte Senioren, das sei eine schöne Idee, findet sie. Denn allein könne man in dem Alter nicht mehr so viel erleben. Ida Kähne wird irgendwann müde und still. Auf der Dachterrasse gibt es dann Kaffee und Kuchen, dazu Kaiserwetter, Sonnenschein ergießt sich über den Schlossneubau.

Im Innenhof sammelt sich eine Schülergruppe, drei Generationen jünger, und Klara Geywitz holt für ihre Gäste Geschenketüten. Ida Kähne, die Hohenzollern-Expertin, bekommt eine Schokoladen-Luise. „Die Königin? Von den Deutschen?“, fragt Ida Kähne. Diese Schokolade wird nicht gegessen, sondern bekommt einen schönen Platz in ihrem Zimmer.

Wilhelm Stintzing bekommt einen Schokoladenkönig, den Alten Fritz. Und verwickelt, gestärkt nach seiner Kaffeepause, Potsdams Sozialdezernentin in ein politisches Gespräch über die Garnisonkirche, in der er den Tag von Potsdam erlebte, und Potsdams Flüchtlingspolitik. Sie solle dafür sorgen, dass immer alles Wichtige dazu in der Zeitung steht, rät er der Beigeordneten. Und hat noch einen Wunsch: Gern würde er – bei der nächsten Tour – Cecilienhof sehen. Dort am Neuen Garten sei er aufgewachsen. „Da kann er selbst den Tourguide machen, er weiß ja so viel“, sagt seine Begleiterin. „Bis zum nächsten Mal“, so verabschiedet sich auch Ida Kähne. Dann gehts hinunter zum Taxi.

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