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Landeshauptstadt: Lust auf Meer

Flamenco, Walgesang und Gondoliere: Das Fahrradkonzert der Musikfestspiele lud zur musikalischen Reise um das Mittelmeer ein

Von Sarah Kugler

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Ein Hauch von Venedig im Potsdamer Weltkulturerbe: Das Wasser plätschert an den Bug, eine leichte Brise weht einem um die Nase und vorne an der Reling schmettert der Gondoliere sein traditionelles „O sole mio!“. Im klassischen rot-weiß gestreiften Hemd und mit Strohhut auf dem Kopf flirtet er mit den Passagieren und singt, als ob es kein Morgen gäbe. Allerdings fehlt ihm der lange Stab zum Abstoßen – den braucht der Gondoliere auf der Fähre, die von Berlin-Wannsee auf die Pfaueninsel übersetzt, nicht.

Die Aktion war Teil des Fahrradkonzerts, das am gestrigen Sonntag im Rahmen der Potsdamer Musikfestspiele stattfand. In diesem Jahr stehen die Festspiele unter dem Thema „Mittelmeer – Zwischen Traum und Wirklichkeit“ und somit war auch die Fahrradkonzerttour eine mediterrane Reise – immer am Wasser entlang.

„Potsdam bietet zu diesem Thema so wunderbar viel“, sagte Jelle Dierickx, der das Programm der Musikfestspiele mitverantwortet. „Es gibt hier so viele Bauten mit mediterranen Einflüssen und überall Wasser. Es ist einfach perfekt.“ Somit wundert es nicht, dass die 1000 Plätze für das Fahrradkonzert schnell ausverkauft waren. „Wir hätten wahrscheinlich auch 3000 Karten verkaufen können“, so Dierickx. „Aber leider wären das zu viele Leute für die Räumlichkeiten.“

Gestartet ist die Tour am Vormittag in der Schiffbauergasse. Dort bekamen die Teilnehmer nicht nur ihre Tourbändchen, die ihnen später freien Zugang zu den 16 Konzertorten entlang zweier möglicher Routen ermöglichten. Auch ein musikalisch-akrobatisches Kunststück gab es zur Einstimmung: Das „’t Brabants Fietsharmonisch Orkest“ verbreitete auf seinem Tandem gute Laune. Gekleidet in Rennoutfits im Stil der 30er-Jahre spielten die Musiker und fuhren – ohne zu kippen – durch die begeisterte Menge.

Weiter ging es für die Teilnehmer dann entweder bei der gemütlicheren blauen Tour mit zwölf Kilometern Länge oder bei der sportlichen orangefarbenen Tour auf 23 Kilometern. So oder so führte der Weg irgendwann zum Schloss Glienicke und dem dazugehörigen Park. Dort konnte man sich im Inneren der Orangerie von Kastagnettenvirtuosin Friederike von Krosigks und Gitarrist Klaus Jäckle nach Spanien entführen lassen. Die Kombination aus klackerndem Perkussionsinstrument und der leichten Gitarre schaffte sofort mediterranes Flair: Mit schweren sehnsuchtsvollen Klängen beschwor die Musik Bilder von tragisch Verliebten, ließ mit feurig schnellen Rhythmen imaginäre Stiere durch den Raum laufen und verzauberte dann wieder mit ganz zarten Tönen. Die Zuschauer ließen sich auf diese musikalische Reise mitnehmen: Mit glasig entrückten Augen waren manche ganz weit weg, während andere mit wippenden Füßen und offenen Mündern wohl innere Tänze durchlebten. Am Ende gab es von allen begeisterten Applaus.

Neben der wunderbaren Musik konnte man auch etwas Kulturgeschichte mitnehmen. So erfuhr man beispielsweise von Friederike von Krosigks, dass Kastagnetten immer aus einem weiblichen in der einen und einem männlichen Teil in der anderen Hand bestehen. Beide werden jeweils etwas anders gespielt und manchmal vereinen sie sich auch in einem Kuss.

Um bewegliche Hände ging es auch in einem Flamenco-Workshop für Kinder nebenan. Dort zeigte Laura la Risa den noch etwas schüchternden Zuschauern erste Flamencoschritte und die „Palmas“, die typischen Klatschrhythmen. Auch wenn sich kaum jemand auf die Bühne traute, im Schutz der Masse machten alle mit. Irgendwann bebte der Raum von vielen kleinen und großen stampfenden Füßen und dem lauten Klatschen der Hände.

Draußen luden unterdessen Simon Nicolai & Friends zu „Pots and Pans“ ein. Dabei konnten Kinder und Erwachsene sich austoben und mithilfe von Eimern und Bechern mitreißende Rhythmen kreieren.

Mediterranes Fernweh konnte man sich dann wieder im Gewächshaus der Orangerie abholen. Dort gab es zwar keine Musik, aber dafür Berge an Rosmarin, Lavendel und Oregano, durch die man sich hindurchschnuppern und dabei in eine ferne Welt eintauchen konnte.

Einen musikalischen Ausflug unters Wasser gab es an der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke. Dort versetzten Ulrich Hahnel und Monika Bothe das Publikum direkt ins Meer. Während Bothe in einer Art großem Tambourin kleine Kügelchen hin und herschwang und so ein Meeresrauschen simulierte, erzeugte Hahnel auf dem sogenannten Waterphone Töne, die an Walgesang erinnerten. Das metallene Instrument besteht aus einem Hohlkörper, an den außen Stäbe unterschiedlicher Größe gelötet sind. „Der Körper wird mit Wasser gefüllt und erzeugt somit bei Bewegung unterschiedliche Resonanzen“, erklärte Ulrich Hahnel. „Die Stäbe kann man dann streichen oder auch anschlagen.“ Ergänzt wurde die Meeresillusion durch hohe Flötentöne, die sich wie Möwen anhörten.

Nach dem Konzert stiegen die Konzertteilnehmer sichtlich entspannt auf ihre Räder und dem einen und der anderen fiel es sicher auch leichter, in Mittelmeer-Stimmung zu geraten. So konnte man sich an der Havelenge von Sacrow tatsächlich fast vorstellen, an einer Miniaturausgabe der Meerenge von Gibraltar zu stehen. Bis auf 200 Meter rücken hier die beiden Ufer der Havel zusammen und bieten einen wunderbaren Blick auf die Heilandskirche Sacrow. Musikalisch wurde die schöne Aussicht abwechselnd auf beiden Uferseiten vom Berliner Alphornorchester begleitet, was eine interessante Echoillusion erzeugte.

Akustisch noch beeindruckender war da nur das Glockenspiel der Kirche St. Peter und Paul auf Nikolskoe. Gewaltig und ein wenig sphärisch nahm es es die Zuhörer mit in seine ganz eigene Welt. Gepaart mit der atemberaubenden Aussicht über die Havel und der schönen Lage in romantischer Natur beschwor es ein wenig den Eindruck, man befinde sich auf einer kleinen italienischen Insel mitten im Meer. Auch auf der Pfaueninsel konnte man sich ganz der italienischen Meeresatmosphäre hingeben. Eingestimmt durch die venezianisch angehauchte Fährüberfahrt ging es zu einem südländischen Akkordeonkonzert.

Auf dem weißen Kieseluntergrund rund um das Schloss entstand dabei eine entspannte Strandatmospäre, als Uwe und Heidi Steger auf ihren Instrumenten italienische Tarantellen zum Besten gaben. Die Zuschauer ließen sich auf Decken in der warmen Sonne nieder, ein paar Kinder bauten kleine Kieselsteinburgen. Dazu erklangen schnelle sizilianische Volkslieder, bei denen so mancher Fuß mitwippte, aber auch ein paar ruhigere Töne, die wieder mediterranes Fernweh auslösten.

Auf der Rückfahrt mit der Fähre konnte man – wieder beim Gondolierelied – gedanklich Abschied von Italien nehmen und sich auf das schwungvolle Abschiedskonzert mit der Band „Folkadelic Hobo Jamboree“ in der Schiffbauergasse einstellen. So ganz wollte das nicht gelingen, denn auch auf dem Weg dorthin hatte mancher Radler noch ein leidenschaftliches „O sole mio!“ auf den Lippen.

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