Homepage: Macht der Anerkennung
Ernste Themen am ersten Tag des Festivals
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Die Idylle scheint vollkommen. Am ersten Festivaltag herrscht gegen Mittag Ruhe im Thalia Kino. Leere Sektgläser zeugen von der Eröffnung am Mittwoch, müde Gesichter von der alljährlichen Party in der HFF. Ab und zu zeigt sich ein Filmstudent am Eingang, wirft einen suchenden Blick auf den Bürgersteig und streckt sich. Vor der Tür machen die Cafés gute Geschäfte. Die Frühlingssonne taucht die Szenerie in warmes Licht. Und während im Kino die Kinderfilme laufen, erscheinen die ersten Besucher für den Filmblock „Anerkennung“. Hier werden drei Filme gezeigt, die mit der idyllischen Stimmung in der Rudolf-Breitscheid- Straße brechen.
Unter den Menschen, die vom S-Bahnhof heraneilen, ist Silvana Santamaria. Die Stuttgarter Regisseurin kommt gerade vom Flughafen und möchte zu der Vorführung ihrer Dokumentation „Status: Geduldet“. Das Thema des Dokumentarfilms ist das Leben einer Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo. Der Film steht im Zentrum des Filmblocks „Anerkennung“. Ein halbes Jahr lang hat die Studentin der Filmakademie Baden-Württemberg die Familie um die 42-jährige Mutter Hajrije Huseni begleitet, bis zu dreimal die Woche. Hajrije Huseni lebt seit 16 Jahren mit ihren drei Kindern in Deutschland. Die Familie wird von den deutschen Behörden geduldet. Besonders für die Kinder ist das ein Leben unter dem Damoklesschwert. „Ich fühle mich schon ein bisschen deutsch“, sagt der älteste Sohn, Arduan Huseni. „Aber die Behörden spielen doch nur mit uns. Die Briefe, die wir bekommen, sind wie Drohbriefe.“
Für Frau Huseni wäre eine Aufenthaltsgenehmigung die ersehnte Anerkennung. Der Kampf mit den deutschen Behörden hat nicht nur im Gesicht der Mutter Spuren hinterlassen. Aggression bahnt sich ihre Wege in die Familie. Mit Gewalt versucht Mutter Hajrije die Tochter Ramize in ihre weibliche Rolle zu zwingen. Mit Gewalt reagiert Sohn Arduan auf die kleinste Provokation. Mit Gewalt wurde der Familie der Vater entrissen. Frau Huseni redet nicht gerne darüber: eines Tages wurde ihr Mann entführt. Er kehrte nie wieder.
Alle drei Filme des Blocks „Anerkennung“ machen deutlich, dass Gewalt ein Teil des Kampfes um Akzeptanz ist. Die Potsdamer Filmstudentin Sophie Narr zeigt dies mit der 8-jährigen Nele. In „Platz im Schatten“ muss das Mädchen um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern kämpfen. Eine Ohrfeige scheint da schon wie ein Erfolg. Der surrealistische Film „Misolovka“ aus Serbien wirkt wie ein Kommentar zu der Situation der Familie Huseni. Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zeigt, wie weit Menschen im Kampf um Anerkennung gehen: Ein unheimlicher Offizier arbeitet an einem Erschießungsbefehl. Doch am Ende des Films richtet sich der Befehl gegen seinen Verfasser selbst. Der Kampf mit Anderen ist auch der Kampf mit sich selbst.
Das Publikum war von den Filmen überzeugt. Besonders Silvana Santamaria konnte sich über ihren Applaus freuen. Gerade hat sie erfahren, dass ihr Film den wichtigen europäischen „Civis“ Medienpreis gewonnen hat. Der Südwestdeutsche Rundfunk hat „Status: Geduldet“ für sein Programm gekauft. So wurden nicht nur auf dem „Sehsüchte“- Festival den Filmemachern die schönen Seiten der Anerkennung zuteil.
Mark Minnes
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