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Traumatherapeut über Hilfe für Anschlagsopfer: „Man braucht einen Helmut Schmidt“

Christian Lüdke arbeitet mit Opfern von Anschlägen und ihren Angehörigen. Sie braucen Menschen, an denen sie sich aufrichten können, sagt er.

Stand:

Herr Lüdke, aus Sicht eines Traumatherapeuten: Was ist jetzt in Paris zu tun?

Grundsätzlich geht es darum, möglichst schnell Abstand zu bekommen, Ruhe zu finden und vor allem gesicherte Informationen zu erhalten. Informationen geben Sicherheit. Das schlimmste Erlebnis für die Pariser ist jetzt, dass ihr persönliches Sicherheitsgefühl erschüttert ist.

Wer kann in einer solchen Situation Sicherheit vermitteln?

Stabile Personen, das sind jetzt etwa Politiker, Hoheits- und Sicherheitskräfte, aber auch Menschen im privaten Umfeld. Es hört sich vielleicht etwas kühl an, aber was man jetzt braucht, sind Menschen wie, sagen wir, ein Helmut Schmidt, der gerade verstorben ist – Menschen, die nicht weinend vom Stuhl fallen. An ihnen können sich andere aufrichten.

Sie selbst waren bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York, später haben Sie Opfer und Angehörige von anderen Anschlägen betreut. Vermutlich kommen auch bei Ihnen sofort Erinnerungen hoch.

Ich war bei den Anschlägen in New York, zuvor habe ich oft auf dem World-Trade-Center gestanden, an dem Tag auch am Ground Zero. Ich arbeitete damals für eine große deutsche Bank und habe Angehörige und Hinterbliebene betreut, 25 Familien. Ich war mit dem FBI unterwegs. Ja, es sind sehr nachhaltige Erinnerungen. Aber auch gute: Die Menschen, diese unglaubliche Solidarität, die sie erzeugt haben.

Damals haben Sie für den Tagesspiegel über Ihre Arbeit mit Kindern in New York berichtet.

Viele Kinder sind nach Hause und sofort ins Bett der Eltern oder Großeltern. Für Kinder ist das der sicherste Platz der Welt. Dann haben viele angefangen zu malen. Es war bewegend.

Wie redet man jetzt mit Kindern?

Bis zum Alter von drei Jahren gar nicht. Danach, bis zehn, würde ich nur mit ihnen reden, wenn sie aktiv danach fragen. Ab zehn kann man mit Kindern ganz normal und sachlich reden. Auf keinen Fall sollte man aber Verunsicherung zeigen. Mama und Papa sind für Kinder Sicherheitsgaranten, wenn die erschüttert sind, überträgt sich das auch auf sie. Wenn Kinder jetzt fragen, kann das auch bei mir in der Kita passieren, wäre die richtige Antwort: Nein, das ist in Paris passiert, in deiner Kita passiert das nicht.

Es ist eine Lüge, oder?

Nein. Es ist eine Zwischenform der Wahrheit. Sonst entsteht Panik im Kind.

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