
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: „Man darf nicht Tätern mehr glauben als Opfern“
Potsdams Generalsuperintendentin Heilgard Asmus über ihr neues Amt, den Fall Uwe D. und Stadtpfarrer Markus Schütte
Stand:
Heute wird Ihnen feierlich das Amt der Generalsuperintendentin für den Sprengel Potsdam der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) übergeben. Sie haben sich sicher einen ersten Überblick verschaffen können. Wie gut oder schlecht geht es der evangelischen Kirche in Potsdam?
Ich habe den Eindruck, dass es der Kirche hier nicht schlecht geht, an vielen Stellen sogar wunderbar. An einigen Stellen sind aber noch Hürden zu nehmen. Ich möchte dabei auf Folgendes aufmerksam machen: Als Generalsuperintendentin bin ich für ein großes Gebiet und nur unter anderem für Potsdam zuständig. Ich möchte die Stadt genauso für mich entdecken wie die Gemeinden in der Uckermark und im Fläming.
Sie sagen, der Kirche hier in Potsdam geht es nicht schlecht, Sie sprechen aber auch von Hürden. Welche sind das?
Im Potsdamer Kirchenkreis mit seinen 21 Gemeinden gibt es 25 000 Christenmenschen, darunter unzählige ehrenamtliche Helfer. Die Situation der hauptamtlichen Mitarbeiter ist relativ sicher. Das ist ein Grund zur Freude, anderswo ist die Situation anders. Doch gibt es auch Hürden, die aber woanders genauso auftreten: Es geht um Fragen von Qualität, Strukturen und Mitgliederzahlen.
Erklären Sie das bitte genauer.
Es geht um die Zukunftsfrage: Wie können wir so ausstrahlen, dass wir in zehn Jahr mehr sind oder zumindest nicht weniger? Das ist eine echte Hürde. Es geht bei diesem Thema auch darum, wie sich Christen in ihrer Kommune verhalten und ob Nicht-Gläubige vielleicht merken: Die glauben, und die wissen auch, woran sie glauben, die haben Profil, das ist interessant. Das alte Wort dafür heißt Mission. Ich verwende es gern im Sinne von Einladen, die Kirchen weit öffnen.
Ist dies auch der Gedanke, der hinter der verstärkten Jugendarbeit der Kirche in Potsdam steht? Immerhin eröffnet demnächst ihr erster Jugendklub „Nowawes“ in Zentrum-Ost.
Natürlich wird dies auch ein missionarischer Ansatz sein. Aber in Potsdam gab es schon immer eine starke Jugendarbeit unserer Kirche, etwa mit Schülern. Zu DDR-Zeiten fanden die Landesjugendcamps auf Hermannswerder statt. Solche Traditionen sind nicht einfach weg, weil einige Jugendliche inzwischen erwachsen geworden sind. Es kommen ja immer neue Generationen nach.
Zur Kinder- und Jugendarbeit der Potsdamer Kirche gehört seit diesem Jahr auch ein dunkles Kapitel. Es gibt schwere und bis jetzt nicht widerlegte Vorwürfe gegen den früheren Pfarrer Uwe D., der sich an Jugendlichen vergangen haben soll. Seit mindestens 2001 gab es Hinweise. Was lernen Sie daraus? Wie lässt sich zukünftig so etwas verhindern?
Grundsätzlich kann ich selbst niemanden an etwas hindern, was er glaubt tun zu wollen und zu müssen. Ich bin nicht allmächtig. Aber es muss sich etwas ändern bei der Art und Weise des Umgangs mit Verdachtsmomenten. Ich bin da sehr klar und offensiv, das wusste man auch vor meiner Wahl zur Generalsuperintendentin. Bei dem Thema Missbrauch werden wir ohne schonungslose Offenheit nicht klarkommen. Konspirative Gespräche und Verdeckungen und Nicht-Handeln, dafür stehe ich nicht.
Aber das ist nach 2001 offensichtlich so passiert.
Es gab wohl Verschiedenes. Einige Menschen, darunter ein Superintendent (Bertram Althausen, die Red.), setzten sich ganz stark für Aufklärung ein. Sie sind aber wohl nicht ausreichend unterstützt worden. Wenn es eine Lehre für uns alle gibt: Die Sicht der Opfer gehört in den ersten Blick. Man darf nicht Tätern mehr glauben als Opfern. Das ist hier wahrscheinlich passiert. Das Argument, damals war eine andere Zeit, gilt hier nicht: Schon 2001 gab es in der Evangelischen Kirche klare Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch. Dazu gilt ein Moralkodex für unsere kirchliche Arbeit. Und ob wir den ausreichend genutzt haben, um solchen Verdachtsfällen zu begegnen, daran wage ich zu zweifeln.
Hat der Fall zu Kirchen-Austritten geführt?
Das kann ich nicht sagen. Ich weiß aber aus Gesprächen, dass einige Kirchenmitglieder unglaublich unter dieser Situation leiden. Schockiert hat vor allem, dass nicht gehandelt wurde. Das kann ich gut nachempfinden.
Ein weiteres unangenehmes Thema ist der beliebte Potsdamer Stadtpfarrer Markus Schütte. Er ist geschieden, lebt nun in einer neuen Beziehung und ist jüngst erneut Vater geworden, allerdings wiederum mit einer anderen Partnerin. Die zwei Frauen kommen aus der Gemeinde. Nun legt ihm die Kirche einen Neuanfang in einer anderen Stadt nahe. Teilen Sie diese Sicht?
Zunächst einmal halte ich das öffentliche Agieren verschiedener Personen für sehr unglücklich. Das meint Journalisten, aber auch Herrn Schütte. Personalfragen sind nun in der Zeitung. Zu Ihrer Frage: Natürlich ist niemand frei von Fehlern. Aber es gibt gerade im Beruf eines Pfarrers Regeln. Die Lebensführung soll so sein, dass Menschen in besonderem Maße darauf vertrauen können, das Wort und Handeln übereinstimmen. Die Tragik des Falls scheint mir darin zu liegen, dass ein von vielen hochgeschätzter und von Jugendlichen sogar verehrter Mensch mit seiner Lebensführung und mit dem, was davon in die Öffentlichkeit getragen wurde, die Gemeinde in eine Zerreißprobe gebracht hat. Das ist jetzt keine Schuldzuweisung, sondern die Beschreibung der Situation. Auch will ich nicht die beiden Frauen vergessen. Die Frage ist jetzt: Wie kann es in einer Gemeinde gut weitergehen, wenn Menschen immer größere Zweifel bekommen und mit dem ganzen Thema hadern?
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen eine Lösung finden, mit der alle Beteiligten leben können. Ich wünsche mir, dass dieser wunderbare Pfarrer mit seinen vielen Gaben einen Neuanfang wagt, es geht ja auch um sein Lebensglück. Für die Gemeinde geht es wohl um befriedete Verhältnisse und Verkündigung ohne Irritationen.
Herr Schütte hat sich auch sehr für die Garnisonkirche eingesetzt, ein immer noch umstrittenes Projekt. Wie stehen Sie dazu?
Das Projekt, ein Versöhnungszentrum zu schaffen, habe ich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und fand es von Beginn an ausgezeichnet. Es ist gut, wenn es einen Ort gibt, an dem die Geschichte von zwei Diktaturen gelernt werden kann. Das steht der Stadt gut zu Gesicht, auch zu begreifen, welche Folgen Diktaturen bis heute haben. Diesen Plan für die Garnisonkirche unterstütze ich gern. In welcher Form, kann ich jetzt noch nicht sagen – mein Amt ist davon unabhängig. Ich würde gern sehen, was dieses Vorhaben aus geistlicher Sicht bedeutet.
In Potsdam gibt es bekannte Kirchensanierungsprojekte. Bei der St. Nikolaikirche am Alten Markt hat sich die Gemeinde sehr verschuldet, um das Projekt zu stemmen. Ist das der Weg, den man gehen muss, schließlich steht dann kein Geld mehr für die Gemeindearbeit zur Verfügung?
Ich kann mir da kein Urteil in den Kategorie „gut“ oder „schlecht“ bilden. Ich weiß von der Überschuldung, aber auch von dem Pech der Gemeinde mit den spät entdeckten Schäden. Mir ist verständlich, dass die Gemeinde die Chance zur Sanierung nutzen wollte. Es ist heute ein Stück Zeitgeschichte, dass es ohne Eigen- keine Fördermittel mehr gibt. Und so ein Bauwerk kann keine Gemeinde alleine stemmen, auch wenn die Spendenbereitschaft in der Nikolaigemeinde und darüber hinaus beträchtlich ist. Manchmal scheint es einem da einfacher, eine Dorfkirche zu sanieren. Dort stehen Christen- und Bürgergemeinde noch ganz anders zueinander als in einer Stadt, sorgen für „ihr“ Haus. Aber das ist wiederum auch Diktaturgeschichte, dass Bürgergemeinden in Städten eher distanziert sind. Ich fürchte deswegen, dass sich auch in Zukunft Gemeinden noch verschulden werden.
Wie glauben Sie geht es nun mit der Nikolai-Gemeinde in Potsdam weiter?
Die Bausumme ist natürlich so überdimensional groß, dass man sie kaum denken kann. Ich vertraue darauf, dass der Gemeindekirchenrat, der das Projekt leitet, von seinem Auftrag so überzeugt ist, dass er weiter geistlich wirken kann. Und daran habe ich nach meinen ersten Begegnungen kaum Zweifel.
Immer wieder war auch die Rede von Fusionen von Kirchengemeinden. So etwas sorgt für Unruhe. Wie sehen die aktuellen Pläne aus?
Es gab wohl Pläne, nur ganz wenige Gemeinden zu haben. Aber ich kenne den Sachstand nicht. Ich bin dafür auch nicht verantwortlich, sondern die Kreissynode. Aber ich bin neu und auch neugierig, wie solche Pläne aussehen werden. In den nächsten Wochen wird es meine schöne Aufgabe sein, den Sprengel Potsdam kennenzulernen. Dafür habe ich mir fest vorgenommen, in alle 14 Kirchenkreise zu fahren und dort den Menschen zuzuhören. Das ist meine Art, um mir ein Bild zu verschaffen.
Welches erste konkrete Vorhaben haben Sie schon im Blick?
Die Gemeindekirchenräte werden 150 Jahre alt, ein hohes demokratisches Gut in unserer Kirche. Das kann öffentlich gewürdigt werden in einer Form, da noch überlegt wird, ob wir ein Fest oder einen ganzen Tag gestalten. Dazu gibt es geistige Aufgaben: Predigen, predigen, predigen. Mein Kalender ist bis Ende des Jahres gut gefüllt.
Ihr Vorgänger hieß 13 Jahre lang Hans-Ulrich Schulz. Worin wird sich Ihre Amtsführung von seiner unterscheiden?
Wir haben durchaus verschiedene Ansätze in der Art und Weise, wie wir geistliche Leitung und gesellschaftliche Verantwortung ausüben. Es mag sein, dass ich ein wenig offensiver bin. Gut, dass wir so unterschiedlich sind! Ich schätze ihn sehr und kann ihn viel fragen.
Bitte erklären Sie den Punkt gesellschaftliche Verantwortung genauer.
Es geht mir dabei um die Frage: Was sagt die Bibel zu dem, was der Alltag uns beschert. Ich möchte mich äußern, zu dem was ich erlebe – und dies tue ich aus meinem Glauben heraus. Ich will drei Themen nennen. Einmal ist das Energie. Ich komme aus der Lausitz und frage nach der Zumutung, dass die Gesellschaft ein Opfer von einzelnen Dörfern erwartet, die für Kohle weichen müssen. Wie bringen wir das in ein Gleichgewicht? Auch sorge ich mich um rechte Einstellungen in der Gesellschaft: Es geht mir dabei nicht nur um Krawallmacher, sondern auch um die Frage, wo Menschen niedergemacht werden, aus welchen Gründen auch immer. Zuletzt bewegt mich das Thema, wie wir mit Armut und Reichtum umgehen, vor allem dabei mit Menschen, die kein Geld haben, sich kaum äußern können und damit ausgegrenzt sind.
Sie wollen also eine mahnende Stimme sein und sich als Gegengewicht zur Politik einmischen?
Es gibt Fragen im Alltag, da sollte man sich äußern. Da geht es in einem priesterlich und prophetischen Amt aber nicht um die Aufrechnung von Fehlern, sondern eher darum jene in den Blick zu bekommen, die in einer bestimmten Situation hinten wegfallen. Nicht umsonst gibt es Bibelwörter wie „Tu deinen Mund auf für die Stummen“ oder „Da ströme Gerechtigkeit wie Wasser“. Zu Themen der Gerechtigkeit müssen wir uns als Kirche insgesamt verhalten.
Werden Sie solche Ziele auch am Sonntag verkünden?
Das werde ich nicht tun. Es ist nicht angemessen, während eines Gottesdienstes programmatische Reden zu halten. Das ist kein Parteitag, sondern ich predige. Das heißt, ich lege ein biblisches Wort aus. Dass ich dabei als Person zum Vorschein vorkomme, mit meinen Hoffnungen und Wünschen, das ist natürlich so.
Das Interview führten Peer Straube und Henri Kramer.
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