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Flüchtlinge in Potsdam: "Man kann das Miteinander-Leben nicht am Rand lernen"
Zwölf neue Unterkünfte für Flüchtlinge wurden in diesem Jahr in Potsdam geschaffen - und auch in den kommenden Wochen sollen weitere entstehen. Nun wird bekannt, wie viel die Unterbringungen kosten sollen. Die Stadt versucht weiterhin, ihre Willkommenskultur zu bewahren.
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Potsdam - Elona Müller-Preinesberger wirkt etwas erschöpft, als sie sagt: „Das ist jetzt meine 28. Bürgerversammlung in diesem Jahr.“ Es ist Donnerstagabend, gerade hat Potsdams Sozialdezernentin vor knapp 200 Anwohnern in der Motorsporthalle Babelsberg die neue Flüchtlingsunterkunft am Konsumhof, gelegen zwischen Großbeeren- und Fritz-Zubeil-Straße, vorgestellt. Wie immer, wenn eine neue Unterkunft für geflüchtete Menschen in Potsdam eröffnet wurde. Manches Mal gab es sogar zwei Anwohnerversammlungen, zu mancher kamen 1000 Menschen. Und Müller-Preinesberger, die parteilose Dezernentin, war immer dabei. Die 62-Jährige, seit 2003 im Amt, steht ein für die Potsdamer Flüchtlingspolitik, die sie verantwortet – deutlich unterstützt von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der sich in der Flüchtlingsfrage ebenso klar für Willkommenskultur positioniert, bei Anwohnerversammlungen Gesicht zeigte.
Keine Massenunterkünfte wie in Berlin
Jetzt, kurz vor Ende dieses Jahres, hat Potsdam bereits insgesamt zwölf neue Unterkünfte für Asylbewerber geschaffen, innerhalb der nächsten Wochen werden neun weitere eröffnet, quer über das Stadtgebiet verteilt, im Schnitt bieten sie 100 Plätze. In Massenunterkünften wie im benachbarten Berlin, wo es bereits Massenschlägereien gab, sei die gewünschte Integration der Flüchtlinge nicht machbar, erklärt Müller-Preinesberger immer wieder das Potsdamer Konzept. Neben dem Dach über dem Kopf finanziert die Stadt jedem Neuankömmling einen Grundkurs Deutsch, der 200 Unterrichtsstunden umfasst, bietet sofort Kita- und Schulplätze an und stellt 25 Prozent mehr Sozialarbeiter zur Verfügung als vom Land verlangt.
Das kostet Geld. Wie viel genau, ist für einige Bereiche noch unklar, wie die Stadtverwaltung am Freitag auf Anfrage einräumte. Erstmals bezifferte man aber konkret, wie viel etwa die Unterbringung kostet. Demnach zahlt die Stadt für die Unterkünfte in diesem Jahr 7,3 Millionen Euro, rund drei Millionen davon erstatten Bund und Land. Für die freiwilligen Sprachkurse sind 100.000 Euro geplant, ebenso 150.000 Euro für Integrationsprojekte oder Willkommensfeste. Hingegen werde laut Stadtsprecher Jan Brunzlow der bessere Betreuungsschlüssel jeweils mit den Trägern der Unterkünfte vereinbart, in deren Verträgen aber auch weitere Leistungen enthalten seien – daher könne er keine Angaben zu den Kosten machen. Gleiches gelte für die Kita- und Schulplätze für Flüchtlingskinder.
Alternativlos
Für Müller-Preinesberger gibt es zu diesem Konzept keine Alternative – sonst drohten Konflikte, wenn geflüchtete Menschen sich selbst überlassen seien. Das machte sie auch den Anwohnern in Babelsberg klar. Anders als andere Kommunen lasse Potsdam in die Gemeinschaftsunterkünfte keine Caterer kommen, die Essen bringen – die Flüchtlinge müssten selbst einkaufen, kochen. „Die Menschen sollen sich auf das normale Leben vorbereiten.“
Das von den Stadtverordneten verabschiedete Integrationskonzept sieht vor, dass behördlich anerkannte Flüchtlinge in Wohnungen ziehen sollen, möglichst nur ein halbes Jahr in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen. Das scheitere derzeit aber am Antragsstau beim Bundesamt für Migration, stellte die Dezernentin in Babelsberg fest – bis zu einem Jahr dauere die Bearbeitung derzeit. Ebenso verweist sie auf den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt in Potsdam, der zwar durch neue Sozialwohnungen entlastet werden soll. Doch ob das reicht, kann auch sie nicht sagen. Bis Januar nimmt Potsdam 2250 Menschen auf, für nächstes Jahr geht man von einer ähnlichen Zahl aus – ob sie alle in der Stadt bleiben, wenn sie offiziell Asyl bekommen haben, ist offen.
Potsdam hat in der Vergangenheit mehr eingenommen als prognostiziert
Wie vieles andere, was in 2016 geschehen könnte. „Geplant wird mit Ausgaben von 20 Millionen Euro – nach den Zuschüssen bleibt uns ein Anteil von knapp sechs Millionen Euro“, so Stadtsprecher Brunzlow. Allein für den alten Landtag, der bis zu 470 Flüchtlinge beherbergen soll, werden 1,6 Millionen Euro Kaltmiete nötig. Und wenn mehr Menschen kommen, könne sich die Situation noch ändern. „Ob ein Nachtragshaushalt 2016 nötig ist, ist derzeit noch nicht absehbar“, so Brunzlow.
Auf der anderen Seite hat Potsdam in den vergangenen Jahren stets mehr eingenommen als prognostiziert. Erst vor drei Wochen verkündete Kämmerer Burkhart Exner (SPD) allein für dieses Jahr ungeplante Mehreinnahmen von 7,5 Millionen Euro, weil Steuereinnahmen sprudeln und auch die Landeszuweisungen höher ausfielen als gedacht. Vor allzu große Schwierigkeiten würde Potsdam dies nicht stellen. Zwar spart die Stadt, muss ihr Wachstum finanzieren, hat jedoch gute, meist besser als erwartet ausfallende Steuereinnahmen.
Integration am Rand?
Ums Geld geht es bei der Anwohnerversammlung in Babelsberg aber eher nicht. Wie auch sonst selten. Dafür fragt dort ein Mann, ob die Flüchtlinge nicht auf dem Sago-Gelände am Rande der Stadt untergebracht werden könnten – damit „sich Asylanten nicht so in der Stadt breitmachen“. Müller-Preinesberger hält dagegen: „Man kann das Miteinander-Leben nicht am Rand lernen.“ Später wird sie gefragt, ob sie in einem halben Jahr wiederkommen wolle – um sich zu erkundigen, ob sich Bedenken zerschlagen und Hoffnungen erfüllt hätten. Die Dezernentin zögert, verweist auf angespannte Kapazitäten, weitere geplante Versammlungen. Und sagt dann: „Wenn Sie wollen, machen wir das.“
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