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Landeshauptstadt: „Man wird besser“

Thomas Waldstein unterrichtet an der Volkshochschule Lesen und Schreiben / Grundbildungskurs für Rechnen startet im Mai

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Hier sitzen alle in der ersten Reihe. Für eine zweite wäre auch gar kein Platz: Denn Thomas Waldstein nutzt den schlauchförmigen Raum im Gebäude der Volkshochschule (VHS) in der Dortustraße einfach quer. Während des Unterrichts wechselt der Kursleiter – wie ein Simultanschachspieler – von einem Tisch an den nächsten: „Zwölf Teilnehmer, zwölf Vorbereitungen“, sagt er und lacht. Während Monika S. Kommas setzt, sortiert eine weitere Schülerin Bildkarten auf zwei Stapel, zwei Teilnehmer legen ein Wörterdomino und Anja T. löst Rechenaufgaben. Es ist ein sonniger Montagnachmittag. Nur die Hälfte der regulären Teilnehmer ist gekommen.

Lesen, Schreiben und Reden sollen sie hier lernen. Der Kurs ist Teil des Angebots zur „Grundbildung“, das im Herbst an der VHS startete. Finanziert wird er vom Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Für die Teilnehmer ist er daher kostenlos.

Überwindung kostet es allerdings in jedem Fall, sich so grundlegende Schwierigkeiten einzugestehen und um Hilfe zu suchen. Das konnte Thomas Waldstein in den Gesichtern seiner Schüler lesen: So stand ein junger Mann beim ersten Besuch mit „zitternder Unterlippe“ vor ihm, erinnert er sich. „Schüchtern und verängstigt“ wirken fast alle am Anfang, weiß Waldstein, der hauptberuflich als Stütz- und Förderlehrer am Berufsbildungswerk arbeitet.

Aber im Alltag geht es für sie einfach nicht weiter: Etwa für die 37-jährige Frau, die als Haushaltshilfe arbeitet. Vor 14 Jahren ist sie aus Nigeria nach Deutschland gekommen. Deutsch spricht sie mittlerweile recht gut. Lesen und Schreiben aber hat sie nie gelernt: Wörter muss sie mühsam entziffern. Das dauert. „Man ist nicht dumm, nur weil man nicht lesen und schreiben kann“, weiß sie. Und trotzdem: Wenn ihr die eigene Tochter beim Ausfüllen von Formularen hilft, findet sie das „total peinlich“.

Monika S. nickt zustimmend. Die 56-jährige Invalidenrentnerin hat das Lesen auf der Sonderschule „einfach nicht gelernt“. Im Alltag hilft ihr nur ihr Gedächtnis: Termine und Kochrezepte – alles habe sie im Kopf, erzählt sie. Das Lernen in der Gruppe aber mache ihr Spaß. Mit dem Lesen in Silben klappt es jetzt schon gut. Auch der 37-jährigen Afrikanerin hat der Kurs geholfen. Heute könne sie bereits allein E-Mails schreiben: „Man wird besser“.

Prüfungen gibt es bei Waldstein nicht: „Den Lernfortschritt messe ich hier“, sagt der Lehrer und klopft sich an die Brust. Nach jeder Stunde entscheidet er, was sitzt und wo er nachhaken muss. „Sie werden niemals einen Roman von Anfang bis Ende lesen“, sagt er über seine Schüler und fügt hinzu: „Aber dafür das, was für sie wichtig ist.“

So soll es auch im Mathekurs laufen, der Mitte Mai startet. Dort will Waldstein mit den Schülern Probleme aus dem Lebensalltag bearbeiten. Anna T. hat sich dafür schon angemeldet. Die 26-Jährige will Kopfrechnen lernen, „für den Haushalt“. Aber auch wegen ihrer Tochter: Denn die kommt im Herbst zur Schule. Und Anna möchte sie dann richtig unterstützen können. Ihre eigene Schulzeit verlief eher chaotisch: Für die normale Schule sei sie zu schwach gewesen, für die Förderschule zu stark, erinnert sie sich. Jana Haase

Informationen zum Grundbildungsprogramm unter Tel.: (0331) 289 45 62.

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