zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Manche unserer Schüler sind nicht krankenversichert“

Gabriele Ost, Leiterin der Fachschule für Soziales, über den Mangel an Erziehern und miserable Ausbildungsbedingungen

Stand:

Frau Ost, wie bildet man gut Erzieher aus?

Indem man sie lehrt, Kinder anzunehmen, wie sie sind, sie zu verstehen und dabei selbst echt bleibt. Das ist auch das Motto unserer Schule: „Annahme, Verständnis, Echtheit – wir versuchen zu leben, was wir lehren."

Quereinsteiger können bei Ihnen auch berufsbegleitend eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher machen. Was ist das Besondere an solchen Schülern?

Wir schätzen diese Schüler sehr, denn sie wissen genau, warum sie Erzieher werden wollen. Sie kennen oft bereits aus eigener Erfahrung die Probleme des beruflichen Alltags. Viele haben vorher ein Studium abgebrochen oder waren wiederholt arbeitslos. Die meisten von ihnen sind zwischen 30 und 40 Jahren alt. Fast die Hälfte der Schüler in diesen Klassen sind Männer.

Gehen die Männer anders an die Ausbildung zum Erzieher heran?

Im Unterricht hinterfragen sie häufiger den Sinn von Angeboten. Irgendwie sind sie auch handfester und sehen die Arbeit mit Kindern nicht durch die rosarote Brille. Sie sprechen offen ihre Probleme an und wollen konkret wissen, was kann ich morgen in der Kita mit den Kindern machen.

In Brandenburg fehlen laut Gewerkschaft in den nächsten Jahren 900 Erzieher. Das sind rosige Zeiten für Ihre Schüler. Finden alle Abgänger einen Job als Erzieher?

Hundert Prozent der Schüler haben nach Ende der Ausbildung einen Job. Aber das wird nicht so bleiben. Ich glaube, in fünf Jahren ist der Mangel an Kita-Erziehern nicht mehr in dem Maße vorhanden.

Sind die Ausbildungsbedingungen ähnlich rosig wie die Jobaussichten?

Die dreijährige Ausbildung selbst ist gut, sehr praxisnah. Aber das Problem ist die finanzielle Situation der Schüler. Viele haben unglaublich wenig Geld und müssen neben der Ausbildung arbeiten. Sie bekommen kein Lehrgeld, lediglich BaföG, wenn sie die Bedingungen erfüllen. Oft sind sie dafür aber schon zu alt. Manchmal stellen wir fest, dass sie nicht einmal krankenversichert sind. Sie können sich das einfach nicht leisten. Und die Arbeitsagentur übernimmt die Förderung nur bei Ausbildungen, die zwei Jahre dauern und nicht drei. Das Problem unserer Schüler ist, dass sie ganz normale unauffällige Bürger sind. Für sie gibt es keine extra Programme, sie fallen durch alle Raster.

Die Arbeitsagenturen haben Programme aufgelegt, um angesichts des Erziehermangels vielen eine schnellere Ausbildung zu ermöglichen. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Das Geld für solche Programme ist völlig falsch investiert. Denn so eine Schmalspurausbildung in zwei Jahren geht an die Qualität. Die Einrichtungen leiden darunter und damit letztendlich die Kinder. Außerdem fallen viele Teilnehmer durch die Prüfungen. Sie sind oft eher zufällig in eine solche „Maßnahme“ gerutscht und haben falsche Vorstellungen von dem Beruf. Außerdem sind die Inhalte, die wir in der Ausbildung vermitteln, in weniger als drei Jahren nicht zu schaffen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hingegen will die Ausbildung von Kita-Pädagogen am liebsten an die Hochschulen verlagern

Ja, das ist eine völlig widersprüchliche Diskussion: einerseits Schnellverfahren bei privaten Weiterbildungsbildungsträgern zu verlangen, andererseits eine bessere Qualifikation zu fordern.

Aber würde eine universitäre Ausbildung den Beruf nicht aufwerten?

Die Studiengänge, die seit einigen Jahren an den Hochschulen angeboten werden, sind eine gute Ergänzung der Fachschulausbildung. Hier können einzelne Bereiche, etwa die Sprachförderung, intensiver bearbeitet werden. Ersetzen kann eine universitäre Ausbildung aber die Fachschule nicht. Ganz wichtig ist dabei, dass bei dem Personal keine neuen Hierarchien eingezogen werden, in dem Sinne: Hier der Spezialist, dort derjenige fürs Grobe.

Wie müsste der Erzieherberuf Ihrer Meinung nach aufgewertet werden?

Die wichtigste Voraussetzung für eine Aufwertung ist eine angemessene Bezahlung. Dann würden vermutlich auch mehr Männer den Beruf ergreifen wollen. Darüber hinaus müssen Bildung und Erziehung in unserer Gesellschaft insgesamt wieder eine höhere Wertschätzung erfahren. Erzieher – und auch Lehrer – dürfen nicht diejenigen sein, die die Lücken füllen, die durch Medienmissbrauch und familienunfreundliche Arbeitszeiten entstehen. Sie sind diejenigen, die helfen, unsere Gesellschaft lebenswert zu machen.  Und das muss auf allen Ebenen erkannt und betont werden.

Das Interview führte Grit Weirauch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })