Landeshauptstadt: „Mann Molo, hast du ein schönes Leben“
Günter Stoof vom Alfred-Wegener-Institut friert schnell und ist trotzdem jedes Jahr im Polargebiet unterwegs
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Günter Stoof vom Alfred-Wegener-Institut friert schnell und ist trotzdem jedes Jahr im Polargebiet unterwegs Lässig in einen Drehstuhl gefläzt blickt Molo aus dem Fenster seines Büros auf dem Telegrafenberg. Von dort aus hat er das Grün zahlreicher Baumkronen im Blick. Bei seinem eigentlichen Namen Günter Stoof würde ihn hier im Institut niemand rufen. Selbst an einem so warmen Tag wie heute mag er nicht auf die schwarze Lederweste verzichten. Die Frage, wem wohl das schwere BMW-Motorrad vor dem Gebäude gehört, beantwortet sein Outfit. Auf Schreibtisch und Fußboden liegen in Griffweite verschiedene Elektrowerkzeuge verstreut. „Kennst“e so was noch?“, fragt er spitzbübisch und meint einen Lötkolben, der ebenso zum Inventar seines Büros gehört wie eine Tafel aus Edelstahl. „Antarktisstation Georg Forster - 17° 46“ 39““ Süd, 11° 51“ 3““ Ost. Von 1976 bis 1996“ ist darauf zu lesen. „Zur Erinnerung“, sagt er, als sein Blick darauf fällt. Seit 1975 führten den gebürtigen Caputher, zum zweiten Mal verheiratet und Vater von zwei Söhnen, bislang 23 Expeditionen in die Antarktis, die Arktis, nach Spitzbergen, auf die Insel Sewernaja Semlja im Nordpolarmeer und in sibirische Permafrostgebiete im Lena-Delta. Dreimal hat Stoof den polaren Winter in der Antarktis verbracht, beim dritten Mal überwinterte er allein. Günter Stoof, Jahrgang 1952 und schon recht früh ergraut, mag die sommerliche Wärme sehr, er friere sogar beizeiten. Dass der Mitarbeiter an der Potsdamer Zweigstelle des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) dennoch ein waschechter „Polarnik“ – wie damals die Polarforscher aus der DDR bei ihren sowjetischen Kollegen hießen – geworden ist, liegt an einer Aneinanderreihung von Zufällen. Bis heute hätten sie sein Leben bestimmt. Stoof, der ursprünglich Heizungsinstallateur werden wollte, absolviert eine Ausbildung zum Funkmechaniker am Observatorium für Solare Radioastronomie (OSRA) in Tremsdorf 15 Kilometer südlich von Potsdam. „Ein Kumpel wollte dort lernen. Weil man am OSRA jedoch keinen einzelnen Lehrling genommen hat, brauchten sie unbedingt noch einen zweiten. Und der war dann ich.“ Als 1975 Personal für eine Expedition in die Antarktis gesucht wird, gehört Stoof zu denjenigen, die angesprochen werden. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mal, dass die DDR Polarforschung betreibt“, erinnert er sich. Dennoch dauert es nur zwei Tage, bis sich der damals 22-Jährige zur Teilnahme entschließt. Heute blickt er ernst und mit der Besonnenheit des Alters auf diese Entscheidung zurück, die bedeutet, sich für lange Zeit von seiner damaligen Frau und dem erst zwei Wochen alten Sohn zu trennen: „Es war wohl mein Unternehmungsgeist.“ In einem Team von sechs Wissenschaftlern und Technikern bricht der Funkmechaniker im September 1975 per Schiff zu seiner ersten Überwinterung in die Antarktis auf. Im Februar des darauf folgenden Jahres setzt er erstmals seinen Fuß auf das Weiß des ewigen Eises. Rund 100 Kilometer von der Küste entfernt errichten die Polarforscher am Ostrand der Schirmacher-Oase in zwei Kilometer Entfernung von der sowjetischen Polarstation „Nowolasarewskaja“ die erste eigenständige DDR-Polarforschungsstation. Das später auf den Namen „Georg Forster“ getaufte Observatorium dient hauptsächlich der Erforschung der polaren Hochatmosphäre. Weil er der jüngste unter den Polarniks ist, bekommt er bald seinen Spitznamen, der aus dem Russischen stammt und von „Molodoi“ - „junger Mensch“ abgeleitet ist. Schnell merkt der Neuling, was es bedeutet, in der Antarktis zu überwintern. „Die lange Dunkelheit der Polarnächte, wenn es auch zur Mittagszeit nur etwas schummrig ist, hat mir nichts ausgemacht, die andauernd tiefen Temperaturen schon eher.“ Wochenlang zeigt das Quecksilber 40 Grad unter Null. „Und im Sturm bei Minus 30 Grad, da wurde es schon frisch.“ Und wieder lächelt Molo spitzbübisch. Einer erneuten Überwinterung 1986/ 87 nach fast zehnjähriger Unterbrechung folgt ein dritter Aufenthalt von 1991 bis 1993. Als einziges Besatzungsmitglied der Georg-Forster-Station, deren Schicksal in jener Zeit auf Grund der veränderten politischen Situation völlig unklar war, bleibt der Brandenburger von März 1992 an allein zurück, um den Stationsbetrieb provisorisch aufrecht zu erhalten. Als technisches Allroundtalent und des Russischen mächtig scheint Stoof dafür bestens geeignet. Auf die Unterstützung der russischen Kollegen, bei denen er anfangs wohnt und verpflegt wird, verzichtet Günter Stoof nach einer Weile. „Ich wollte dort nicht mehr essen. Es ging gesundheitlich nicht mehr. Den Russen ging es auch nicht gut. Irgend etwas war nicht in Ordnung.“ Ärztliche Aufklärung für seine seltsamen Beschwerden, die er noch heute spürt und nur schwer beschreiben kann, bekommt er nie. Der Deutsche zieht sich gänzlich auf die Georg-Forster-Station zurück und lebt von nun an von den Vorräten, die er noch findet. Angst vor der Einsamkeit hat er nicht. „Mir waren die Verhältnisse vertraut. Ich hatte vorher alles gut durchgerechnet und dachte, sieben bis maximal acht Monate allein zu sein, bis die nächsten Kollegen per Flugzeug kommen“, erzählt Molo. Einsam im Eis redet er dann und wann mit sich selbst und achtet darauf, „nicht durchzudrehen.“ Immer genug Arbeit zu haben, ist seine persönliche Überlebensstrategie. Von früh bis abends erledigt er die anfallenden Messprogramme: Wetterbildempfang, Meteorologie, Luftchemie und Magnetik. Der Kontakt in die Heimat ist selten und nur per Telegramm möglich. Als schmales Band zu Familie, Freunden und Verwandten bleiben 20 Worte. Doch die reichen Stoof völlig. „Wenn es mir dreckig ging, habe ich das eh“ nie mitgeteilt. Helfen konnte dir sowieso keiner und man hat nur die Leute zu Hause beunruhigt.“ Einladungen von Kollegen einer nahen indischen Polarstation zu gemeinsamen Vergnügungen schlägt er immer wieder aus. „Man läuft fünf Kilometer mit dem Wind hin, dann wolln“se dir den Kopf vollgießen und dann biste fünf Kilometer gegen den Wind nach Hause gelaufen. Ein Vergnügen ist das sicher nicht“, sagt Stoof mit ernster Mine. Anfang Oktober 1992 erreicht den Techniker aus der Heimat die Nachricht, dass kein Flieger kommen würde. Stattdessen käme ein Schiff - jedoch erst in fünf Monaten. Zwei Wochen braucht Stoof, um sich mit seiner Situation abzufinden, „dann war es wieder gut“. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass er der letzte Wissenschaftler sein wird, der auf der Georg-Forster-Station überwintert. Die Station wird aufgegeben und in drei Kampagnen von 1994 bis 1996 abgebaut. 1000 Tonnen Schrott, Holz und Müll müssen entsorgt und ausgeschifft werden. Günter Stoof ist wieder dabei, als die letzten Einrichtungs- und Ausrüstungsgegenstände auf den Tag genau 20 Jahre, nachdem er zum ersten Mal die Antarktis betreten hat, auf den norwegischen Eisbrecher „Polar Queen“ verladen werden. Mit einem Metallschild vor einem Felshang hat er zuvor „seiner“ Georg-Forster-Station ein kleines Denkmal gesetzt. Wehmut überkommt ihn dennoch nicht, wenn er daran zurück denkt. Stoof ist zufrieden, weil „sich ein Teil meines Lebens abgerundet hat.“ Seit Juli ist der Werderaner inzwischen wieder fern der Heimat. Mit einer Forschergruppe des AWI Potsdam weilt er im Rahmen einer Langzeitstudie im sibirischen Permafrostgebiet auf der Insel Samoylov. Dort, inmitten des riesigen Lena-Deltas, wo Millionen von Mücken die Arbeit im Sommer nahezu unerträglich machen, liegt seine Trauminsel. Von November bis Februar wird der 53-jährige am Europäischen Eisdrilling Projekt „EPICA“, einem Bohrprojekt im Inneren der Antarktis, teilnehmen. „Bis zu meiner Rente will ich so weitermachen und mindestens 50 Expeditionen schaffen“, sagt Günter Stoof fest entschlossen. Es war übrigens im vergangenen Jahr während eines Hubschrauberfluges über das Lena-Delta, als er zu sich selbst sagte: „Mann Molo, hast du ein schönes Leben.“
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