Landeshauptstadt: Mann putzt Nase
Michael Franz ist Stuckateur, arbeitete auf dem Bau, wurde arbeitslos und steht nun den 994 Potsdamer Kita-Erzieherinnen zur Seite – als Kollege
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Michael Franz ist Stuckateur, arbeitete auf dem Bau, wurde arbeitslos und steht nun den 994 Potsdamer Kita-Erzieherinnen zur Seite – als Kollege Von Guido Berg Frauen werden Kranfahrerin, Boxerin oder Polizistin. Männer werden immer häufiger arbeitslos. Jedenfalls wenn sie in krisengeschüttelten Schwerstarbeiter-Berufen arbeiten. In Stahlwerken und Werften oder in der Baubranche. Der Potsdamer Michael Franz ist gelernter Stuckateur, der 30-Jährige hat auf dem Bau gearbeitet und ist arbeitslos geworden. Nun orientiert er sich neu. Völlig neu. Er bricht in eine berufliche Haupt-Domäne der Frauen ein, er will Kindergärtner werden. Und die Frauen haben nicht mal was dagegen. Ganz im Gegenteil. Christine Blisse ist Erzieherin in der Kita „Baumschule“ in der Geschwister-Scholl-Straße. Seit fast zwei Monaten ist der ehemalige Bauarbeiter ihr Kollege. Und sie ist mehr als begeistert: „Ich finde es toll, wenn hier nicht nur Frauen herumlaufen“. Erzieherin Ines Kubisch pflichtet ihr bei: „Es ist gerade für Jungs wichtig, auch Kontakt mit männlichen Erziehern zu haben“. Erst kürzlich habe ihr ein Junge erklärt, „er wünscht sich zu Weihnachten einen Papa“. Michael Franz will es nicht so lauthals sagen, doch Ines Kubisch gibt es glattweg zu: „Sägen und Hämmern können Männer natürlich besser.“ Der junge Mann, der seine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, macht einen „Schnupperkurs“ in der Kita. Meriten verdient er sich täglich im Werkraum, wo sich die Jungen und Mädchen sogar an elektrischen Bohrmaschinen probieren können. Während seines dreimonatiges Ausprobierpraktikums im Rahmen des geförderten Projektes „Männer in Kinderbetreuungseinrichtungen“ will Franz für sich herausfinden, ob die Arbeit etwas für ihn ist. „Es ist schon ein ganz schöner Trubel“, resümiert er. Doch als Vater von 15-Monate alten Zwillingen, ein Mädchen und ein Junge, trafen ihn die besonderen Anforderungen seines neuen Metiers nicht ganz unvorbereitet. Wie die Sozialbeigeordnete Elona Müller gestern vor Ort bei der Vorstellung des Projektes erklärte, ist die Zahl der männlichen Erzieher „verschwindend gering“. Unter den 1000 Kita-Pädagogen in der sind nur sechs männlichen Geschlechts. Lediglich eine Kita wird von einem Mann geleitet, die Integrationskita Am Bisamkiez. Um dem Männermangel in der Kleinkindpädagogik zu begegnen, fördert ihr Amt das Projekt, an dessen Ende Kitaerzieherinnen nicht mehr nur unter sich sein sollen. Die Gelder, 7000 Euro, stammen aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Bundesfamilienministerium. Die Idee hatte der Potsdamer Verein „Manne e.V.“ in der Kiezstraße, der sich um eine „geschlechtsbewusste Arbeit mit Jungen“ bemüht und für die spezielle Lebenswirklichkeit von Jungen und Männern sensibilisieren will. Nach seinem Praktikum will Michael Franz sich für eine Erzieher-Ausbildung bewerben. Drei Jahre wird es dauern, bis er hauptberuflich das Seine dazu tun kann, das Berufsbild des Kita-Betreuers zum Maskulinen hin zu verändern. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt scheinen günstig. Wie die Beigeordnete erklärte, steigen die Kinderzahlen in Potsdam wieder. Allein im kommenden müssten über 700 neue Kita-Plätze bereitgestellt werden. Dazu würden „mindestens 35 neue Erzieherstellen geschaffen“. Elona Müller weiter: „Wir wissen, wir müssen in Potsdam-West eine weitere Kita vorhalten“. Kita-Leiterin Kriemhild Franke ergänzt, dass allein in der „Baumschule“ die Zahl der Hort- und Schulkinder in den letzten Jahren von 113 auf 165 gestiegen ist. Der logische Schluss sei, auch neue Erzieherstellen zu schaffen. Warum sollten die nicht auch von Männern besetzt werden? Von der Infrastruktur her sieht die Kita-Leiterin ihre Einrichtung dafür gewappnet, dass dort bald Kollegen arbeiten, die ausschließlich Hosen anhaben: Lange schon gibt es eine Herrentoilette für Mitarbeiter, ursprünglich gedacht für Hausmeister und Väter. An anderer Stelle hakt es wohl noch etwas. Lange hat es schließlich auch gedauert, bis sich weiblichen Berufsbezeichnungen in typischen Männerberufen durchgesetzt haben. Kapitänin statt Kapitän. Offizierin statt Offizier. Im Fall von Männern in bald nicht mehr ganz so typischen Frauenberufen muss allerdings noch eine Bresche für den „Erzieher“ geschlagen werden. Im Werkraum liegt ein Zettel mit Druckbuchstaben darauf: „Achtung – die Bohrmaschine nur im Beisein einer Erzieherin benutzen!“ Oder eben im Beisein von Michael Franz.
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