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Potsdam, 11.05.2023 / Lokales / Josef Borchardt, Vorstellung Jungen- und Männerberatung Potsdam, Haus der Begegnung, Foto: Ottmar Winter PNN ACHTUNG: Foto ist ausschließlich für redaktionelle Berichterstattung der PNN und des TGSP! Eine kommerzielle Nutzung, z.B. Werbung, ist ausgeschlossen. Die Weitergabe an nicht autorisierte Dritte, insbesondere eine weitergehende Vermarktung über Bilddatenbanken, ist unzulässig.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Männerberatung in Potsdam: Selbstfürsorge statt „Zähne zusammenbeißen“ 

Josef Borchardt ist einer der wenigen Männerberater in Potsdam: Seine Klienten sprechen mit ihm über Probleme in Beziehung, Arbeit und Familie - und wie sie traditionelle Rollenbilder dabei belasten.

Stand:

Wer in Potsdam nach psychologischer Beratung sucht, stößt schnell auf eine Vielzahl an Angeboten. Wer jedoch nach etwas sucht, was sich spezifisch an Männer richtet, der findet kaum etwas. Josef Borchardt ist einer der wenigen Menschen in Potsdam, der Männern und Jungen bei Problemen in der Beziehung, in der Familie oder im Berufsleben als Berater zur Seite steht: Der 35-jährige Pädagoge und systemische Berater aus Potsdam bietet jeden Dienstag zwischen 12 und 19 Uhr eine kostenlose und vertrauliche Sprechstunde im Haus der Begegnung in Waldstadt an.

Doch warum überhaupt Männerberatung? „Während meines Studiums ist mir aufgefallen, dass sich viele Jungen und Männer von Angeboten in der Sozialarbeit nicht richtig angesprochen fühlen“, so Borchardt. Das Problem: Es arbeiten generell zu wenig Männer im Bereich Sozialarbeit, viele männliche Ratsuchende würden jedoch lieber mit einem Mann als mit einer Frau über private Probleme sprechen.

Nicht Männlichkeit ist in einer Krise, sondern patriarchale Männlichkeit – und das finde ich gut. Dadurch besteht die Chance, dass sich Männerbilder weiterentwickeln können.

Josef Borchardt, Pädagoge und systemischer Berater aus Potsdam

„Es geht dabei gar nicht so sehr um die Inhalte der Beratungsangebote, sondern eher um die Ansprache“, sagt Borchardt. „Mir selbst hat so ein Angebot in Potsdam gefehlt.“

Die Themen der Klienten, die zu ihm kommen, sind ebenso vielfältig wie alltäglich: Streit mit der Partnerin, Überforderung als Vater, zu viel Stress im Job, Konflikte im Freundeskreis – häufig gekoppelt mit vielen gesellschaftlichen Erwartungen, die nach wie vor an Männer herangetragen werden.

„Das traditionelle Bild vom Familienversorger ist immer noch mächtig, weshalb von vielen Männern weiter erwartet wird, 40 Stunden Vollzeit zu arbeiten“, sagt Borchardt. Auch keine Schwächen zeigen zu dürfen gehört dazu, was auch in den Beratungen immer wieder Thema ist: Für viele Männer ist es entlastend, hier offen über Schwächen sprechen zu können, ohne beurteilt zu werden – zumal gegenüber einem anderen Mann.

Probleme haben ist unmännlich

Borchardt bietet seine ehrenamtliche Beratung seit gut einem Jahr an, bislang kommen vor allem Männer zwischen 20 und 40 Jahren zu ihm. Insgesamt 15 Klienten hatte er im vergangenen Jahr, manche kommen nur ein- oder zweimal, manche auch über längere Zeiträume.

Die Probleme, über die dabei gesprochen wird, sind oft überhaupt nicht geschlechtsspezifisch: Borchardt nennt einen Klienten, der zu ihm gekommen war, weil ein guter Freund eine Suchterkrankung hatte, unter der auch er immer stärker zu leiden hatte. Im Gespräch versuchte Borchardt ihn vor allem darauf aufmerksam zu machen, wie es ihm selber dabei geht und inwieweit seine eigenen Grenzen gewahrt bleiben.

„Irgendwann habe ich erfahren, dass diese belastende Situation für ihn schon mehr als ein Jahr andauert“, sagt Borchardt. Dies deckt sich mit Beobachtungen aus der Forschung, laut der Männer bei Problemen oft erst sehr spät Beratungsangebote aufsuchen. „Bei vielen Männern gibt es den Wunsch, alleine damit fertig zu werden“, sagt Borchardt. „Das passt zu Sätzen, die wir alle aus der Kindheit kennen: ‚Augen zu und durch‘, ‚Zähne zusammenbeißen‘ und so weiter.“

Borchardt betont, dass er keine Therapie anbietet und sich eher als Prozessbegleiter denn als Problemlöser sieht: „Männlichkeit ist oft damit verknüpft, Probleme zu lösen, aber nicht damit, Probleme zu haben.“ Doch statt Symptome schnell aufzulösen, sei es für manche Männer oft hilfreicher, ihre Schwächen erst einmal zu akzeptieren und zu schauen, welche darunterliegenden Muster dafür sorgen, dass bestimmte Probleme immer wieder auftauchen. Eine Schwäche zu haben, mag unangenehm sein, doch der Umgang damit kann stark sein.

Immer wieder ist in den Medien zu hören, dass Männlichkeit in einer Krise sei – Borchardt widerspricht dem: „Nicht Männlichkeit ist in einer Krise, sondern patriarchale Männlichkeit – und das finde ich gut. Dadurch besteht die Chance, dass sich Männerbilder weiterentwickeln können.“ Längst gebe es diversere und progressivere Männlichkeiten, die auch Merkmale wie Fürsorglichkeit oder Verletzlichkeit miteinschließen.

Dabei ist Borchardt vor allem das Thema Selbstfürsorge wichtig: „Ich kann nur gut für andere sorgen, wenn ich davor auch für mich selbst sorge.“ Gerade dieser Aspekt fehle jedoch häufig in toxischen Männerbildern, die vor allem Härte gegen sich und andere propagieren.

Borchardt ist nicht der Einzige, der Männerspezifische Beratung in Potsdam anbietet: Die Praxis „Von Mann zu Mann“ etwa bietet Psychotherapie und Coaching an, das „Rat- und Tat Zentrum Potsdam“ richtet sich vor allem an schwule Männer. Der „Manne e.V.“ hingegen konzentriert sich auf Bildungsarbeit und Erlebnispädagogik für Jungen und Männer. Zu finden sind diese Angebote auch im Netz unter www.männerberatungsnetz.de, einer Initiative des Bundes, die einen Überblick über alle Männerberatungen in Deutschland bietet.

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